Im Gehen entsteht der Weg - Impulse christlich-jüdischer Begegnung

Grußwort von Frau Ministerpräsidentin Malu Dreyer zur Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit, 8. März 2015 in Ludwigshafen


Sehr geehrte Frau Dr. Schulz-Jander,
sehr geehrter Herr Landesrabbiner Dr. Brandt,
sehr geehrter Herr Dr. Pieper,
meine sehr geehrten Herren und Damen,

ich heiße Sie herzlich in Rheinland-Pfalz willkommen und begrüße die Entscheidung des Koordinierungsrates, die diesjährige Woche der Brüderlichkeit in Ludwigshafen zu eröffnen.

Treffen wir uns doch heute mitten in der Großregion der SCHUM-Städte! Im Hochmittelalter waren die drei jüdischen Gemeinden Speyer, Worms und Mainz eng miteinander verflochten und unter der Abkürzung 'SchUM' (Schpira (Speyer) – Warmaisa (Worms)– Magenza (Mainz)) als Zentrum des aschkenasischen Judentums überregional bekannt.

Den Rabbinaten dieser drei Städte wurde seit dem Ende des 12. Jahrhunderts die höchste Autorität in religiös-kultischen und rechtlichen Fragen zugesprochen. Die Rabbiner der drei Städte versammelten sich auf Synoden, wo sie Beschlüsse zum Zusammenleben in den Gemeinden fassten, die für die Entfaltung jüdischen Lebens in Mitteleuropa eine herausragende Bedeutung erlangten.

In enger Abstimmung mit den drei Städten, den jüdischen Gemeinden sowie Fach-wissenschaftlern verfolgt das Land Rheinland-Pfalz seit Jahren das Ziel, die SchUM-Städte in die Weltkulturerbeliste der UNESCO aufnehmen zu lassen. 2014 haben die SchUM-Städte die erste Hürde geschafft: Sie wurden zur Aufnahme in die UNESCO-Liste des Weltkultur- und Naturerbes angemeldet. Wir müssen nun bis 2020 einen umfangreichen Antrag erstellen. Über die endgültige Aufnahme in die Welterbeliste entscheidet die UNESCO voraussichtlich im Jahr 2021.

Mit diesem Vorhaben knüpfen wir an das reiche und außergewöhnliche jüdische Erbe in Rheinland-Pfalz an. Wir wollen dieses Erbe der SchUM-Städte einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen.

Gleichzeitig freue ich mich und empfinde es als Verpflichtung, dass wir mit der Antragstellung und der Gründung eines SchUM-Vereins einen wichtigen Beitrag für das heutige jüdische Leben in unserem Land leisten. Wir schlagen damit eine Brücke vom Gestern ins Heute und Morgen.

Dadurch können wir den Menschen näher bringen, dass die jüdische Kultur bedeutender Teil unserer Heimat ist. Und wir können dazu beitragen, dass auch zukünftig der jüdischen Kultur wieder die Bedeutung beigemessen wird, die sie über Jahrhunderte hinweg hatte.

Meine sehr geehrten Herren und Damen,
wir Deutsche tragen eine historische Verantwortung für die millionenfache Vernichtung von Juden, von Sinti und Roma, von Homosexuellen und Zeugen Jehovas und für die Ermordung der politischen Gegner des Nazi-Terrors.

Diese Verantwortung tragen auch und gerade wir Nachgeborenen. Und sie umfasst auch die Verantwortung dafür, dass wir in unserem Alltag für Demokratie und Menschenrechte eintreten und uns gegen Diskriminierung und Ausgrenzung von Minderheiten zur Wehr setzen.

Mit großer Sorge beobachte ich daher die Aktivitäten rechtsextremer, fremdenfeindlicher und islamistischer Gruppen in unserem Land.

Gerade Synagogen, jüdische Einrichtungen und jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen sind wieder Zielscheibe von Angriffen in Deutschland und in einigen Nachbarländern. Wir bleiben aufgefordert, aus unserer Geschichte Lehren zu ziehen. Das Unrecht, das geschehen ist, darf sich niemals wiederholen.

Wir müssen daher alles dafür tun, dass sich unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland sicher und wohl fühlen. Es darf niemals wieder so sein, dass ihnen nur noch die Ausreise als sichere Alternative bleibt!

Dafür tragen wir, die wir heute leben, für unsere Zeit die Verantwortung.

Meine sehr geehrten Herren und Damen,
Freiheit und Demokratie gehören zu unseren kostbarsten Errungenschaften. Hüten wir sie und gehen sorgsam und wachsam mit ihnen um. Es sind Werte, für die wir einstehen und die wir verteidigen müssen Und wo immer die Freiheit der Menschen, die Freiheit des Geistes bedroht ist, muss unsere Demokratie wehrhaft sein.

Die Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit sind daher für die Landesregierung und mich persönlich eine herausragend wichtige Aufgabe.

Ich sage ganz klar: Wir lassen die Freiheit in unserem Land nicht durch Extreme bedrohen. Wer sich gegen unsere demokratische Grundordnung richtet, gegen die Freiheit und die Würde aller hier lebenden Menschen agiert, dem werden wir als Staat und Gesellschaft in aller Entschiedenheit und Konsequenz entgegentreten.

Meine sehr geehrten Herren und Damen,

„Rheinland-Pfalz ist ein tolerantes und weltoffenes Land. Die Menschen, die hier leben, bekennen sich zu den unveräußerlichen Menschenrechten, zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Diese Werte des Grundgesetzes und der Landesverfassung Rheinland-Pfalz garantieren ein friedliches Zusammenleben in Freiheit und Würde. Wir treten deshalb aktiv ein für Toleranz und Weltoffenheit.“

Das sind die einleitenden Sätze einer gemeinsamen Erklärung des Bündnisses für Toleranz und Weltoffenheit, zu dem ich am 6. Februar zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus allen Bereichen der Gesellschaft in die Staatskanzlei eingeladen hatte, unter ihnen Repräsentanten und Repräsentantinnen aus Politik, Gewerkschaften, Wirtschaft, Kirchen und Glaubensgemeinschaften, des Sports, der Kultur, des Ehrenamts und der Sozialverbände.

Wir waren uns darin einig, dass gegenseitige Wertschätzung und vorurteilsfreies Miteinander die Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben bilden. Eine freie, vielfältige und offene Gesellschaft kann nur bestehen, wenn Meinungs-, Gewissens-, Religions- und Pressefreiheit nicht in Frage gestellt werden.

Dafür werden wir uns weiter mit aller Kraft einsetzen, Hasspropaganda und Diskriminierung in jeder Form widersprechen und die Errungenschaften der demokratischen und offenen Gesellschaft täglich neu leben und verteidigen.

Meine sehr geehrten Herren und Damen,
ich will unsere heutige Begegnung aber auch zum Anlass nehmen, mich bei den vielen Menschen herzlich zu bedanken, die sich seit 1948 in den Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit ehrenamtlich und hauptamtlich für das Miteinander und das Zusammenleben von Juden und Christen in unserer Gesellschaft engagieren. Ihre Arbeit, vor allem in den Gemeinschaften vor Ort, kann nicht hoch genug gewürdigt werden.

Einschließen in den Dank will ich heute auch Herrn Prof. Dr. Hanspeter Heinz und den Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, die heute mit der Buber-Rosenzweig-Medaille für ihr herausragendes Engagement geehrt werden.

Vor genau 10 Jahren hat sich der Gesprächskreis mit der Erklärung „Juden und Christen in Deutschland - Verantwortete Zeitgenossenschaft in einer pluralen Gesellschaft“ an die Öffentlichkeit gewandt.

Papst Johannes Paul II. hat bei seinem Besuch in Mainz im Jahr 1980 gesagt: „Ju-den und Christen sind als Söhne (und Töchter) Abrahams berufen, Segen für die Welt zu sein". Unter Bezug auf diese Worte endet die damalige Erklärung des Gesprächskreises mit einer Hoffnung und einer Bitte:
„Wir hoffen, auch die Muslime, die sich ebenfalls auf die Abrahamskindschaft berufen, für diese Verpflichtung zu gewinnen. Möge der Herr der Geschichte unser Vorhaben segnen!“

Diese Bitte ist heute aktueller denn je.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

(Es gilt das gesprochene Wort)