Im Gehen entsteht der Weg - Impulse christlich-jüdischer Begegnung

Begrüßung und Hinführung zum Thema von Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann in der Christlich-Jüdischen Gemeinschaftsfeier im Pfalzbau zu Ludwigshafen am 07. März 2015


Sehr geehrter Herr Landesrabbiner Dr. Henry Brandt, lieber Herr Kirchenpräsident Christian Schad, liebe Schwestern und Brüder christlichen und jüdischen Glaubens,

herzlich darf ich Sie alle zu dieser christlich-jüdischen Gemeinschaftsfeier begrüßen, die im Rahmen der Auftaktveranstaltungen der Woche der Brüderlichkeit stattfindet. Erstmalig ist die Woche der Brüderlichkeit in diesem Jahr in Ludwigshafen zu Gast. Die Pfalz kann auf eine lange und reiche jüdische Geschichte und Tradition zurückblicken. Namhafte Rabbiner aus Speyer, die so genannten „Weisen von Speyer“, zählten im Mittelalter mit ihren Mitgelehrten in Worms und Mainz zu den führenden religiösen Autoritäten in ganz Mitteleuropa. Diese Gemeinden waren sehr angesehen, weshalb sie nach ihren hebräischen Anfangsbuchstaben als „SCHUM-Gemeinden“ in die Geschichte eingingen. Doch die Geschichte der Juden in dieser Region ist auch geprägt von einem sich wiederholenden Wechsel zwischen friedlichem Miteinander und Phasen der Missachtung oder Verfolgung. Es erfüllt uns mit Trauer und Scham, wenn wir bei dem Blick in die Geschichte sehen, wie wir Christen an unseren jüdischen Schwestern und Brüdern schuldig geworden sind. Bitterer Tiefpunkt der jüdischen Geschichte in der Pfalz war die Deportation der Juden am 22. Oktober 1940 in das französische Internierungslager Gurs, welches für viele nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Auschwitz und andere Vernichtungslager war. In diesem Jahr erinnern wir uns zum 75. Mal an dieses grausame Ereignis und fragen mit einem Klagelied über mittelalterliche jüdische Märtyrer zu Speyer, Worms und Mainz: „Wer gibt meinem Auge genügende Tränen zu beweinen die Morde, geübt an den Söhnen, den Alten, den Frauen, den Kindern, den Greisen in meiner Gemeinde, der Stätte der Weisen?“ Noch immer schmerzen das damalige Schweigen und die Tatenlosigkeit vieler unserer Vorfahren. Umso mehr freut es mich, dass sich nach diesen schrecklichen Ereignissen in den letzten Jahrzehnten in Speyer eine neue jüdische Gemeinde gebildet hat. Die Synagoge Beith- Schalom, die 2011 eingeweiht wurde, ist heute das religiöse Zentrum der jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz.

Das Wissen um das reiche gemeinsame geistliche Erbe lässt uns hier zusammenkommen. Die katholische Kirche erinnert sich mit Dankbarkeit und Freude daran, dass die Erklärung Nostra aetate, über das Verhältnis der Kirche zu den Nichtchristlichen Religionen, vor 50 Jahren verabschiedet worden ist. Durch diese Erklärung ist die Begegnung zwischen Judentum und Kirche in eine neue Phase eingetreten. Nostra aetate macht deutlich, was in den vorangegangenen Jahrhunderten oftmals aus dem Gedächtnis gerückt war: die Wurzeln der Kirche liegen im Judentum und sie ist mit dem Judentum innerlich durch ein untrennbares Band verbunden. So kann Johannes Paul II. sagen, dass die jüdische Religion für die Kirche nicht etwas Äußerliches ist, sondern in gewisser Weise zum Inneren der christlichen Religion gehört. Die Treue Gottes zu seinem auserwählten Volk ist für uns unbestreitbar. Das Konzil forderte aufgrund des gemeinsamen geistlichen Erbes die Förderung gegenseitiger Kenntnis und Achtung. Dies greift auch Papst Franziskus auf, der bei einer Ansprache vor Vertretern der jüdischen Gemeinde Roms, in Erinnerung an die Festnahme und Deportation von über 1000 römischen Juden am 16. Oktober 1943, sagte: „Ohne eine wirkliche und konkrete Kultur der Begegnung, die authentische Beziehungen schafft, ohne Vorurteile und Verdächtigungen, würde ein intellektuelles Bemühen wenig nutzen.“ Wir haben uns auf den Weg zur Woche der Brüderlichkeit gemacht, um diese Kultur der Begegnung zu pflegen. Durch diese Begegnungen werden der Respekt und die Toleranz vor der jeweils anderen religiösen Überzeugung gefördert und so werden wir befähigt, in eine tiefere Beziehung hineintreten zu können.

Das Jahresthema für die christlich-jüdische Begegnung lautet „Im Gehen entsteht ein Weg“. Es lehnt sich an Franz Kafka an, doch findet sich in der Bibel ebenfalls an vielen Stellen das Wegmotiv. Abraham ist eine der ersten großen Gestalten, die sich im Vertrauen auf Gottes Führung auf den Weg gemacht haben. Gott begleitet sein auserwähltes Volk, er ist ein Gott des Weges, der aus der Gefangenschaft in die Freiheit führt, wie wir an der Exoduserzählung sehen können. Im Psalm 25 heißt es: „Zeige mir, o Herr, deine Wege.“ Der Ewige ist derjenige, der unser Leben hält und uns auf unseren Wegen führt, „Befiehl dem Herrn deinen Weg und vertrau ihm; er wird es fügen.“ (Ps. 37, 5).

Immer wieder wurde den Juden im Laufe der Zeit großes Unrecht zugefügt. Wachsender Antisemitismus ist erneut in Europa wahrzunehmen. Wir denken an ausufernde Pro- Palästinensische Demonstrationen, an die schrecklichen jüngsten Ereignisse in Frankreich und Dänemark. Aus Sorge vor diesen Tendenzen überlegen Juden in Frankreich, aber auch bei uns in Deutschland nach Israel auszureisen. Wir können die Sorge unserer jüdischen Brüder und Schwestern verstehen, wir teilen sie und stehen fest an ihrer Seite. Einstimmig gilt es alte und neue Formen des Antisemitismus anzuprangern und zu bekämpfen.

Die täglichen Nachrichten über die menschenverachtenden Taten der Kämpfer des Islamischen Staates und anderer Terrororganisationen dürfen uns nicht in Betroffenheit erstarren lassen. Diese Verbrechen richten sich gegen alle Religionen. Hier sind Christen, Juden und Muslime gleichermaßen betroffen. Religiöse Minderheiten sind diesen Terroristen vielfach schutzlos ausgeliefert. Diese Verbrechen fordern von uns eine Antwort. Wir sind gerufen, unsere Stimmen zu vereinen, um gemeinsam diese Verbrechen anzuprangern. Es besteht die Gefahr, dass wir uns an die Bilder des Grauens gewöhnen und in Gleichgültigkeit oder Schweigen verfallen, weil wir glauben, nichts ausrichten zu können. Dies müssen wir zu verhindern suchen, denn wir erinnern uns, wie viele grauenvolle Dinge aufgrund des Schweigens so vieler Menschen in der Vergangenheit geschehen konnten.

Das Jahresthema erinnert mich auch an das beeindruckende Buch über die Lebenserinnerungen der Jüdin Hanna Mandel, mit dem Titel: „Beim Gehen entsteht der Weg“. Darin berichtet sie u. a. von ihren Erfahrungen im Konzentrationslager Auschwitz. Nach der Befreiung setzte sie mühsam einen Schritt vor den anderen und bahnte sich so mit der schweren Last der Erinnerung einen Weg durch ihr Leben.

Auch der christlich-jüdische Dialog hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg tastend auf den Weg gemacht. Viele beschwerliche Etappen hat dieser Weg durchlaufen müssen, doch auch mancher Meilenstein ist erreicht worden. Durch die Zusammenarbeit und einen hörenden Austausch ist ein gemeinsamer Weg entstanden, den es zu verfestigen und auszutreten gilt.

Legen wir in unserer heutigen Gebetsgemeinschaft unseren gemeinsamen Weg in Gottes Hände und erbitten wir in dieser Feier den Segen des Herrn, auf das er uns auf dem Weg des Friedens und der Versöhnung geleite.

(Es gilt das gesprochene Wort)