Brief an Papst Benedikt XVI: Sorge um Heiligsprechung von Pius XII.

 

Hochverehrter Papst Benedikt,
 
in Erinnerung an unseren Brief vom 28. Oktober 2008 wenden wir uns erneut in großer Sorge um eine weitere Belastung des jüdisch-christlichen Verhältnisses – vor allem in Deutschland, Polen, Israel und USA – an Sie. Wir meinen die wohl bald bevorstehende Heiligsprechung von Papst Pius XII.
 
Am 19. Dezember 2009 – in den Tagen von Chanukka und Weihnachten – haben Sie in einem Dekret den „heroischen Tugendgrad“ von Papst Pius XII. anerkannt, ihn als „verehrungswürdig“ eingestuft und damit den Weg für den weiteren Prozess seiner Heiligsprechung freigemacht. Für diese ist jetzt nach der „Apostolischen Konstitution zur Durchführung von Kanonisierungsverfahren“ nur noch ein anerkanntes, auf seine unmittelbare Fürsprache gewirktes Wunder notwendig.
 
Nach den Irritationen durch die Wiedereinführung des Tridentinischen Ritus und der Karfreitagsfürbitte für den außerordentlichen Ritus 2008 sowie im vergangenen Jahr durch die Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe aus der Pius-Bruderschaft, unter denen sich ein Holocaustleugner befindet, der bislang nicht zur Einsicht gelangt ist, wird das seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil erneuerte Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zum Judentum wiederum belastet. Wir bedauern dies außerordentlich.
 
Wir beklagen dies umso mehr deshalb, weil die Vatikanischen Archive für die Regierungszeit des Pacelli-Papstes für die Jahre 1939 bis 1958 noch nicht für die Forschung freigegeben wurden. Erst eine Einsicht in diese Archivalien würde es erlauben, angemessen über sein Verhalten urteilen zu können.
Im Einklang mit der katholischen Kirchengeschichtsforschung (vgl. Theologische Revue 105, 2009, Nr. 4, 265-278) stimmen wir der Forderung von jüdischen und christlichen Historikern nach Öffnung der Archive zu.
 
Nicht zuletzt möchten wir den Blick auf die letzten Überlebenden der Schoa und ihre Angehörigen lenken, für die die Seligsprechung und eine Heiligsprechung des Papstes, der zum Schicksal und zur Ermordung jüdischer Menschen auch nach dem Ende der NS-Zeit geschwiegen hat, kaum erträglich ist.
Auch katholische Christen dürften große Schwierigkeiten haben, dem Urteil zuzustimmen, dass Pius XII. „dem Vorbild Christi besonders gefolgt ist“ und „durch heroische Tugendübung … ein hervorragendes Zeugnis für das Himmelreich abgelegt hat.“ Wir befürchten, dass durch das vorauseilende päpstliche Urteil zur Heiligkeit Pius XII. das Amt des Papstes an Ansehen und folglich die innere Einheit der Kirche leiden dürfte. Auch der innerchristliche Dialog würde somit belastet.
 
Wir bitten zum jetzigen Zeitpunkt und ohne Klärung der historischen Quellen dringend um ein Moratorium der Heiligsprechung von Pius XII.
 
Mit dem Ausdruck tiefen Respekts
 
i. A. von Präsidium und Vorstand
Prof. Dr. theol. Hubert Frankemölle
(Mitglied des Vorstandes)
 
Dr. h.c. Henry G. Brandt
(Jüdischer Präsident)
 
Dr. Eva Schulz-Jander
(Katholische Präsidentin)
 
Pfr. Ricklef Münnich
(Evangelischer Präsident)