Laudatio

"Ein kraftvolles Zeichen gegen Antisemitismus"

Laudatio von Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising, zur Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille 2021 des Deutschen Koordinierungsrates (DKR) der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit an Herrn Christian Stückl

Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier im Saal und wo immer Sie mit uns verbunden sind, lieber Herr Stückl!

es ist mir eine große Ehre, ein paar lobende Worte über den Preisträger dieses Jahres zu sagen. Worte und Bilder können etwas bewirken. Wir erleben das gerade bei der Reise des Papstes in den Irak. Worte, Bilder, Inszenierungen können Bewegung in Gang bringen. Aber eben auch negativ. Und dafür steht auch das, was in der langen Geschichte des Verhältnisses von Christen und Juden zu beklagen ist. Das Wort vom Gottesmord etwa. Gerade da, wo die Passionsgeschichte uns alle ergreift, kommt dieses Wort seit dem 2. Jahrhundert auf und die Juden werden zu Schuldigen erklärt, und das hat verheerende Folgen, ja bis heute eigentlich, in Köpfen und Herzen. Und die Nationalsozialisten konnten an diesen Antijudaismus mit ihrer Ideologie anknüpfen, an diese Bilder, die auch in Passionsspielen im Mittelalter - und es gab ja überall Passionsspiele - auftauchten oder in Bildern an Kathedralen heute noch zu sehen sind.

Es hat lange gedauert, bis die Katholische Kirche, ja die Christenheit insgesamt, sich davon gelöst hat. Im Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Katholische Kirche einen Paradigmenwechsel vorgenommen im Verhältnis zum Judentum, aber auch zu den anderen Religionen. Und die Rezeption dieser Entscheidung -  das heißt als Christen die Wurzeln des eigenen Glaubens, die Wurzeln des eigenen Lebens anzuerkennen und ein neues Freundschaftsverhältnis zu den Juden und dann auch natürlich zu allen anderen Menschen zu finden -, das fordert bis heute heraus.

Wir haben es ja in den anderen Reden eben gehört: Das ist nicht zu Ende. Aber für mich als Erzbischof von München und Freising ist Oberammergau ein Testfall und ein Laboratorium für diese Rezeption des neuen Denkens, der neuen Geschwisterlichkeit. „Fratelli tutti“ sagt Papst Franziskus, wir sind alle Brüder und Schwestern.
Und diese Botschaft wirklich auch umzusetzen in einer Geschichte, die herausfordernd ist; denn das ist die Passionsgeschichte, und Christian Stückl weiß genau, was das bedeutet. Das habe ich immer empfunden. Es ist für ihn nicht irgendein Theaterstück, obwohl das Theater ja auch aus einer geistlichen Tradition kommt, wenn wir an die griechischen Ursprünge des Theaters denken. Er weiß, dass er etwas Geistliches tut, er ist auch fasziniert von der Person Jesu. Das spüre ich in jeder Begegnung, wenn wir darüber sprechen. Und auch, wie er die Menschen begeistert. Er weiß, dass man die Menschen mitnehmen muss. Das ist eine jahrzehntelange Arbeit an dem Text, der verändert wurde, von allen Antijudaismen befreit wurde. Die Reise ins Heilige Land, das Gespräch mit Rabbinern weltweit. Immer wieder der Versuch, den Dialog in Gang zu bringen und jetzt ein Spiel darzustellen, das wirklich bewegt.

Ich habe es 2010 dreimal angeschaut und war jedes Mal sehr, sehr bewegt. Vor allen Dingen auch von der Stelle, die wir gerade gesehen haben: wo Jesus mit dem Gebetsschal als gläubiger Jude mit seinen Jüngern ist und auf Hebräisch singt und betet „Schema Jisrael“. Das hat mich ergriffen, weil mit diesem Bild – ich habe von Bildern und Worten gesprochen – deutlich wird: Schaut auf den Juden Jesus aus Galiläa, aus Nazareth! Das ist unser Heiland, das ist unser Erlöser, der Jude Jesus. Und wenn ihr ihn verstehen wollt, dann müsst ihr ihn als Juden sehen, und dann müsst ihr erkennen, dass die Geschichte, die Auseinandersetzung mit den Gegnern, eine Geschichte ist, die uns angeht, und nicht Schuldige suchen bei den Juden, sondern: Wir sind verstrickt in diese Geschichte.
Das ist etwas, was wirklich großartig geschieht. Das kann vielleicht auch nur ein „oberbayerischer Dickschädel“, wie er natürlich auch einer ist. Und er ist ein wirklicher Christ, ein Mensch, ein neugieriger Mensch, ein leidenschaftlicher Theatermann, all das, was man von ihm auch in anderen Bereichen kennt. Und einer der neugierig ist auf Menschen, der Grenzen überschreiten will, aber mit einer Leidenschaft für die Geschwisterlichkeit aller Menschen. Und das ist etwas, was mich sehr anspricht und was ich bewundere. Das muss ich ganz offen auch hier vor allen sagen.

Deswegen glaube ich, ist er ein wirklich treffender Preisträger für die Buber-Rosenzweig-Medaille. Denn es geht ja vor allen Dingen auch darum, das christlich-jüdische Verhältnis auf diese neue Grundlage zu stellen und es weiterzuführen. Und eben auch deutlich zu machen: Wir als Christen und Juden gehen miteinander! Wir lassen uns nie wieder gegeneinander stellen, und gemeinsam wollen wir Zeugnis ablegen für den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, den Jesus seinen Vater genannt hat und der der Vater aller Menschen ist. Das ist unser Auftrag und dieser Auftrag ist noch nicht beendet.

Herzlichen Glückwunsch und Schalom!

Für die Drucklegung wurde die frei gesprochene
Rede sprachlich etwas bearbeitet