Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit 2023

Öffnet Tore der Gerechtigkeit! Freiheit-Macht-Verantwortung

Eröffnungsrede zur Woche der Brüderlichkeit 2023 von Pfarrer Friedhelm Pieper, evangelischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates, am 5. März 2023 zu Erfurt

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Das hätten wir uns im Januar letzten Jahres nicht vorstellen können. Dass das Jahresthema der christlich-jüdischen Zusammenarbeit, auf das wir uns im DKR-Vorstand verständigt hatten, am 24. Februar 2022 auf so brutale Weise höchst aktuell wurde. „Öffnet Tore der Gerechtigkeit! Freiheit – Macht – Verantwortung“. Heute stehen wir kurz nach dem ersten Jahrestag des verbrecherischen Überfalls Russlands auf die ukrainischen Nachbarn. Völlig enthemmte Machtausübung, bar jeder Verantwortung, abzielend auf die Zerstörung von Freiheit und Wohlergehen des ukrainischen Volkes. Sämtliche Tore der Gerechtigkeit wurden da nicht nur zugeworfen, sie blieben geschlossen und verriegelt – bis heute.

Als Menschen des Glaubens, Jüdinnen und Juden, Muslimminnen und Muslime, Christinnen und Christen stehen wir vor der Frage, wo liegt unsere Verantwortung angesichts dieser entfesselten russischen Angriffsmacht? Angesichts dieser russischen Zerstörungswalze durch die Ukraine. Es gibt Diskussionen und auch Streit in unseren Glaubensgemeinschaften über die Frage, was wir angesichts von Putins Krieg zu tun haben und zu verantworten haben. Als Menschen des Glaubens werden wir von unsere Heiligen Schriften zum Frieden gerufen. Und – in der Tat - der Friede muss auch das Ziel aller Bemühungen und aller Gebete bleiben! Und zugleich können wir nicht der Frage nach unserer Verantwortung im aktuellen Verlauf des russischen Krieges gegen die Ukraine ausweichen. Wie können wir Wege zu einem Waffenstillstand finden? Ich meine, dass wir unserer Verantwortung nicht gerecht werden, wenn wir die Suche nach einem Waffenstillstand in einen Gegensatz setzen gegen die notwendige militärische Unterstützung der Ukraine angesichts der andauernden furchtbaren Angriffe der russischen Armee. Im Moment ist nach meiner festen Überzeugung umfassende militärische Unterstützung der rechtserhaltenden ukrainischen Verteidigung gegen die völlig enthemmte russische Angriffsmacht das Gebot der Verantwortung.

Der Präsident des Zentralrates der Juden, Joseph Schuster beklagt, dass im Zuge des russischen Angriffskrieges hier bei uns Radikale und Verschwörungsideologien Zulauf erhalten. Er sagte: „Jüdinnen und Juden stehen ganz oben bei denen, die Sündenböcke für die Probleme im Land suchen.“ Es ist unerträglich, dass hier bei uns in kritischen Zeiten Freiheit und Wohlergehen jüdischer Menschen derart bedroht werden! Es muss zu unser aller Verantwortung gehören, dass diese katastrophale Entwicklung überwunden wird.

Als wir im Vorstand des DKR im Januar letzten Jahres uns auf das Jahresthema 2023 verständigten, da dachten wir an die wunderschöne Stadt Erfurt und ihre reiche jüdische Geschichte. Wir dachten an die „Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum“ und an das auf dem Portal der Synagoge angebrachte Zitat aus dem Propheten Jesaja: »Tuet auf die Pforten, dass einziehe das gerechte Volk, das bewahret die Treue.« Wir dachten an Thüringen, an die Geschichte der Menschen hier in den östlichen Bundesländern. Öffnet Tore der Gerechtigkeit! Hier wurden vor über 30 Jahren Tore geöffnet und Mauern überwunden. Hier wurde Machtausübung eingedämmt; hier wurde Freiheit errungen. Die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR ist ein unauslöschbares Hoffnungszeichen! Die Bürgerbewegung der ehemaligen DDR hat in die deutsche Geschichte und die Weltgeschichte ein Hoffnungszeichen eingetragen: Ja, es kann geschehen. Es können ungerechte Verhältnisse überwunden werden. Es kann gelingen! Tore der Gerechtigkeit können aufgestoßen werden. Unfreiheit kann überwunden werden. Macht kann eingedämmt werden.

Und das ist unsere Hoffnung heute: dass dies auch für das ukrainische Volk geschehen möge. Ja, und auch das ist unsere Hoffnung heute, dass dies auch für das russische Volk geschehen möge.

Zum Schluss habe ich zu danken. Wir standen mit der Eröffnung der „Woche der Brüderlichkeit“ in diesem Jahr hier in Erfurt vor bisher unbekannten finanziellen Schwierigkeiten – trotz der umfangreichen Mittel aus dem Ministerium des Innern. Wir sind dankbar, dass eine ganze Reihe von Kirchen uns in dieser Situation großzügig unterstützt haben. Wir danken den Bistümern München-Freising und Erfurt sowie der Evangelischen Landeskirche Hannovers, den Evangelischen Kirchen in Mitteldeutschland, in Hessen und Nassau, im Rheinland, von Westphalen, in der Pfalz und in Bayern. Sie haben diese „Woche der Brüderlichkeit“ auch entscheidend möglich gemacht – vielen herzlichen Dank!
Und Ihnen, verehrter Herr Ministerpräsident, darf ich ganz herzlich dafür danken, dass wir nachher im Anschluss an diese Veranstaltung bei einem Empfang Ihre Gäste sein dürfen. Herzlichen Dank dafür!

Ja und so darf ich jetzt im Namen der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Deutschland sagen: Ich freue mich und es ist mir eine Ehre, die Woche der Brüderlichkeit 2023 hier in Erfurt zu eröffnen! Herzlichen Dank!