Ein schwieriges Verhältnis. Die christlichen Kirchen und der Staat Israel

"Ein schwieriges Verhältnis? Die christlichen Kirchen und der Staat Israel"

Alan Posener

Vortrag auf der Tagung des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit gemeinsam mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Berlin, 17. Januar 2012

Ich bin gebeten worden, das Tagungsthema aus publizistischer Sicht zu behandeln. Nun weiß ich nicht, was eine „publizistische“ Sicht sein soll, und ich habe vorsichtigerweise nicht beim Veranstalter nachgefragt. Sie wissen ja, dass Medienunternehmen Tendenzbetriebe sind, wie Kirchen. Das heißt, der Arbeitgeber hat das Recht, von seinen Angestellten eine bestimmte politische Haltung zu erwarten. Das ist auch bei Axel Springer so. In meinem Arbeitsvertrag heißt es gleich in Paragraf zwei: „Die Zeitung hat folgende grundsätzliche Haltung: ...“ es folgen die berühmt-berüchtigten fünf „Springer-Essentials“, zu denen unter Punkt zwei gehört: „Das Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen, hierzu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes“.

Ich darf anmerken, dass ich die Unterscheidung zwischen Juden und Deutschen unglücklich finde. Ich darf auch darauf hinweisen, dass hier vom „israelischen Volk“ die Rede ist, was die israelischen Araber einschließt. Das Lebensrecht aller Israelis wird heute vom Iran und dessen atomarer Aufrüstung bedroht. Deshalb – und darauf komme ich noch – muss die Haltung der Kirchen zur iranischen Theokratie hier zu Wort kommen. Wer nicht von Teheran reden will, soll zu Israel schweigen.
Es versteht sich von selbst, dass mit dieser grundsätzlichen Haltung des Verlags eine Kritik der jeweiligen israelischen Regierung und ihrer Politik durchaus vereinbar ist, ja dass eine solche Kritik im Interesse der Lebensrechte des israelischen Volkes geboten sein kann. Allerdings muss man wissen: Israel kämpft immer noch um sein Existenzrecht, das von den meisten arabischern Staaten bis heute nicht anerkannt worden ist. Kritik, die vor allem Israel delegitimieren soll, Kritik, die nicht ausgeht von den lebensrechten des israelischen Volks, ist nicht akzeptabel.

Was auch immer man vom Zionismus hält, und ich stamme väterlicherseits aus einer jüdischen Familie, die vor 1933 in ihrer Mehrheit nicht pro-zionistisch war: Nach 1933 – und nicht erst nach 1945, als die Ausmaße der Shoah klar wurden – nach 1933 haben die Zionisten das innerjüdische Argument gewonnen. Ohne einen Judenstaat gibt es keine Sicherheit für die Juden. Wer rechtzeitig aus Europa nach Palästina kam, wurde gerettet. Wer zurückblieb, wurde Opfer. Kein Deutscher, ob Katholik, Protestant, Jude, Moslem oder Atheist, kann nachdem, was das kultivierteste Land Europas den Juden antat, fortan ernsthaft gegen den Zionismus sein. Wir – und ich benutze dieses Wir als Sohn einer englischen Mutter und eines Vaters, der in der britischen Armee gegen die Deutschen kämpfte – wir haben den Beweis für seine Notwendigkeit geliefert, und wir müssen mit den Ergebnissen leben. Es ist nun einmal Deutschen nicht möglich, im israelisch-arabischen Konflikt eine Äquidistanz zu wahren, als hätten wir es im Heiligen Land mit einem Konflikt zu tun wie zwischen Tamilen und Singhalesen auf Sri Lanka, oder zwischen Hutsi und Tutsi in Ruanda. Im Übrigen zeigen diese beiden Konflikte, wie verhältnismäßig zivilisiert der Kampf um Palästina ausgetragen wird, insbesondere von israelischer Seite. Ganz zu schweigen davon, wie arabische Führer, von Gaddafi bis Assad, von Saddam bis Nasser, mit ihren eigenen Völkern umgingen und umgehen.

Aus der Sicht dieser publizistischen Haltung, die meines Erachtens der Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland entspricht, möchte ich mich nun mit dem Verhältnis der beiden großen Kirchen zum jüdischen Staat befassen.

Beginnen wir mit der katholischen Kirche. Man hätte denken können, dass gerade ein deutscher Papst und ehemaliger unfreiwilliger Hitlerjunge eine besondere Sensibilität für das Verhältnis zwischen Christen und Juden und für das Verhältnis zwischen seiner Kirche und dem Staat Israel entwickeln würde. Leider ist das Gegenteil der Fall. Ich erinnere an die Aussöhnung mit den Pius-Brüdern, einer Sekte, die immer antijüdisch und antisemitisch war und bis heute bleibt, was dem Vatikan natürlich bekannt ist. Ich erinnere an die Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte für die Juden in der lateinischen Messe, die alle Fortschritte seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zunichte macht. Ich erinnere an die Beschleunigung der Seligsprechung von Pius XII. trotz jüdischer Proteste, und daran, dass der Papst bei seinem Israel-Besuch nur dann bereit war, auch Yad Vashem zu besuchen, wenn eine Vitrine, die sich kritisch mit der Rolle dieses Papstes beschäftigte, zugedeckt wurde. Ich erinnere an die skandalöse Rede des Papstes in Auschwitz, bei der er die Chuzpe besaß, nicht Pius XII., nicht die eigene Kirche, sondern Gott zu fragen, warum er zu diesem Verbrechen geschwiegen habe, obwohl es in den Zehn Geboten eindeutig heißt: Du sollst nicht morden. Ich erinnere an seine ebenso skandalöse Rede vor dem Deutschen Bundestag. Im Reichstag, wo die Partei des politischen deutschen Katholizismus die Hände hob zum Ermächtigungsgesetz, das die Nazis rechtmäßig zur Partei der Diktatur machte, fand Benedikt XVI zu diesem unerhörten Vorgang kein Wort – kein einziges Wort des Bedauerns, der Selbstkritik, der Scham. Freilich wussten diejenigen, die Joseph Ratzinger länger schon beobachten, dass er auf diesem Ohr taub ist. Dies ist der Mann, der in seiner Predigt zur Eröffnung der Oberammergauer Passionsspiele 1980 sagte: „Man kann Antisemitismus auch herbeireden; auch das sollte bedacht werden; deshalb möchte ich alle, insbesondere unsere jüdischen Freunde, bitten, mit dem Vorwurf des Antisemitismus aufzuhören“. Das, so möchte man sagen, könnte ihm so passen. Dies ist der Mann, der in seiner viereinhalb Jahre als Erzbischof von München und Freising kein einziges Mal schaffte, die Gedenkstätte auf dem Gelände des früheren KZ Dachau zu besuchen, die keine halbe Automobilstunde von der erzbischöflichen Residenz entfernt liegt, der aber anlässlich der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie ausgerechnet den deutschen Soldatenfriedhof La Cambe besuchte, wo mehrere hundert Angehörige der berüchtigten Waffen-SS Panzerdivision „Das Reich“ begraben sind, so zum Beispiel SS-Sturmbannführer Adolf Diekmann, der im nahe gelegenen Oradour-sur-Glane das Massaker fast der gesamten Dorfbevölkerung, darunter 207 Kinder und 254 Frauen, befehligt hatte. Aber ich schweife ab. Lassen wir Papst Benedikt einstweilen beiseite.

Nehmen wir Bischof Gregor Maria Hanke. Bei einem Israel-Besuch sagt er: „Morgens in Yad Vashem die Fotos vom unmenschlichen Warschauer Ghetto, abends fahren wir ins Ghetto in Ramallah. Da geht einem der Deckel hoch.“ Und damit sein Kollege in Christo nicht missverstanden wird, setzt sein Begleiter, der saubere Bischof Walter Mixa nach: Die „ghettoartige Situation“ in den besetzen Gebieten sei „fast schon Rassismus“. Was wollen die hohen Herren damit sagen?

Warum trennt eine Mauer Ramallah, Bethlehem und andere palästinensische Städte von Tel Aviv, Herzliyah und anderen israelischen Städten? Weil von den Palästinensergebieten Massenmörder losgingen, um mit Sprengstoffgürtel möglichst viele Juden zu töten. Wenn die Mauer, die das verhindert, vergleichbar sein soll mit der Mauer um das jüdische Ghetto in Warschau – wollen die deutschen Bischöfe sagen, dass die Juden damals im Ghetto eine ähnlich tödliche Gefahr für ihre nichtjüdische Umgebung bedeuteten, wie arabische Terroristen heute?

Oder vielleicht wollen die Bischöfe die Situation der Menschen in den palästinensischen Gebieten mit der Situation der Juden im Ghetto vergleichen? Was war denn das Ghetto? Schlicht und einfach ein Konzentrationslager, wo Menschen eingesperrt wurden bis zu ihrem Abtransport in den Tod. Vorher waren sie ihrer ganzen Habe, ihrer Bürgerrechte und ihrer Würde beraubt worden. Nun wurden sie in Fabriken geschunden, wo sie für ihre Todfeinde arbeiten durften, bis Hunger oder Typhus oder Verzweiflung ihnen den Garaus machten. Und wer diese Vorhölle überlebte, wurde in die Viehwagen getrieben und nach Sobibor, Treblinka oder Auschwitz ins Gas geschickt.

Die Situation der Bürger von Ramallah und Bethlehem, könnte weiß Gott besser sein. Aber erstens ist sie eben nicht im entferntesten vergleichbar mit der Situation der Todgeweihten vom Warschauer Ghetto. Und zweitens hat sie nichts mit Rassismus zu tun. Palästina leidet nicht, weil dort Araber leben. Palästina leidet, weil es im Würgegriff arabischer Terroristen ist. Deshalb gibt es die Mauer und die Kontrollen an den Checkpoints. Rassismus? Nirgendwo in der arabischen Welt haben Araber mehr politische Freiheiten als im jüdischen Staat Israel. Rassismus? In Israel ist rassistische Hetze gegen wen auch immer strafbar. In den arabischen Staaten ist antisemitische Hetze das tägliche Programm in Schulen und Medien. Rassismus? Kein Staat, kein Volk wird von Israel mit Vernichtung bedroht, so wie Israel von Irans Präsident Ahmadenidschad mit Vernichtung bedroht wird.

Es seien, sagt der Sekretär des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, beim Besuch in Bethlehem, dem inzwischen judenreinen Geburtsort des Juden Jesus, „unter dem Eindruck der bedrückenden Situation“ aus der „emotionalen Betroffenheit einzelner heraus einige wenige sehr persönliche Bemerkungen gefallen“. Klar doch. Nur: warum spricht ein deutscher Bischof beim Anblick des Leids der Palästinenser „sehr persönlich“ ausgerechnet vom Warschauer Ghetto? Klar, „es“ denkt wohl auch in einem Bischof; es drängt auch ihn zur Relativierung der eben noch in Yad Vashem bekannten, unerträglichen Schuld; es geht auch ihm dann „der Deckel hoch“, und heraus lugt die Fratze des alten Antisemitismus. Und in Deutschland? Wer protestiert? Die üblichen Verdächtigen. Der Zentralrat der Juden. Der israelische Botschafter. Als ob die von keinerlei historischer Kenntnis, geschweige denn Scham getrübte Äußerung zweier deutscher Bischöfe in erster Linie die deutschen Juden und die Israelis anginge, und nicht die Kirche.

Doch ich möchte, wie angekündigt, auf den Iran zurückkommen. Das dortige Regime hat bekanntlich sehr gute Beziehungen zum Vatikan. „Time Magazine“ bezeichnet in einer Reportage Benedikt XVI sogar als „Irans Geheimwaffe“. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins unterhalten die Iraner über ihre große Vatikan-Botschaft ständigen Kontakt zur Kurie und gehen davon aus, im Falle einer Zuspitzung des Konflikts um ihr illegales Atomwaffenprogramm mit Hilfe des Papstes Zeit zu gewinnen. Am 1. Mai 2008 kam es sogar zu einer gemeinsamen Erklärung des Vatikans mit „führenden iranischen Gelehrten“ zum Thema „Glaube und Vernunft“. In Rom wurde die Erklärung als „religionspolitisch sensationell“ und „theologisch revolutionär“ gewertet, wie die FAZ meldete.

Man muss weder theologisch versiert noch politisch besonders gebildet sein, um zu erkennen, dass diese gemeinsame Erklärung von Katholiken und Schiiten weder „theologisch revolutionär“ ist noch politisch gefeiert zu werden verdient. In Wirklichkeit ist der Vorgang philosophisch ein Sieg für den Werterelativismus und politisch ein Erfolg für die Theokraten in Teheran.

Wichtiger als der belanglose bis ärgerliche Inhalt, der zum Beispiel weder etwas über das Verhältnis zum Judentum noch über das Recht zum Wechsel der Religion noch erst recht zur Anerkennung der Allgemeingültigkeit der Menschenrechte sagt, ist nämlich die Frage, mit wem der Vatikan hier verhandelt hat. Leiter der iranischen Delegation war kein „Gelehrter“, kein Imam oder Ayatollah, sondern Mahdi Mostafavi, Leiter der „Islamic Culture and Relations Organization“(ICRO) in Teheran. Laut Selbstdarstellung ist diese Organisation mit dem Teheraner Außenministerium liiert und „handelt gemäß den Weisungen des Führers der islamischen Revolution und den außenpolitischen Richtlinien der Islamischen Republik“. Das ist auch nicht überraschend, denn in einem totalitären Staat dienen alle Einrichtungen eben den Zielen dieses Staats. Jedenfalls konnte von einem „interreligiösen Dialog“ hier wohl keine Rede sein. Offenkundig handelte Mahdi Mostafavi im Interesse und Auftrag der iranischen Außenpolitik. Das wiederum ist auch kein Wunder, denn der Herr war zum Zeitpunkt seiner Unterhaltungen im Vatikan erstens Berater des Holocaust-Leugners und Präsidenten der Islamischen Republik Mahmoud Ahmadenidschad und zweitens stellvertretender Außenminister, wie „Iran Daily“ am 24. Oktober 2007 meldete. Dass der Vatikan genau wusste, mit wem er es zu tun hatte - davon darf man ausgehen.

Mostafavi gehört also zum inneren Kreis eines Regimes, das nach Atomwaffen strebt und Israel „aus dem Buch der Geschichte tilgen will“. Ganz davon abgesehen, wie es sein eigenes Volk kujoniert. Dass dieser Dunkelmann die Chuzpe besitzt, eine Erklärung zu unterzeichnen, in der von der Friedlichkeit und Vernunft des Glaubens schwadroniert wird, überrascht nicht. Dass der Vatikan aber die Chuzpe besitzt, der Weltöffentlichkeit diese Heuchelei als „theologisch revolutionär“ zu verkaufen, wo sie bloß moralisch verlogen ist, sollte vielleicht nicht überraschen - überrascht, enttäuscht und erbittert aber doch. Dieses Dokument der Übereinstimmung mit einem Regime, das vermeintliche Ehebrecherinnen steinigt, Schwule an Baukränen erhängt, den Massenselbstmord als politische Waffe erfunden hat, hinter Tausenden von Terrorakten weltweit steckt, mit rücksichtsloser Grausamkeit gegen die Anhänger der Bahai-Religion vorgeht und mit der Fatwa gegen Salman Rushdie klar gemacht hat, dass es die Meinungsfreiheit auch im Westen nicht dulden wird - dieses Dokument ist politisch aber kein Deut besser als das Konkordat mit Adolf Hitler. Dennoch hat sich in der gesamten katholischen Öffentlichkeit keine einzige Stimme erhoben, um gegen diese Schande zu protestieren. Warum nicht?

Nun zur evangelischen Kirche.
Über die Protestanten reden ist schwieriger, weil sie nicht so zentral organisiert sind wie die Katholiken. Immerhin hat der EKD-Ratsvorsitzende, Präses Nikolaus Schneider, erklärt, er und seine Kirche sähen in der Gründung, aber auch im Bestand des Staates Israel ein Zeichen der Treue Gottes zu seinem Volk. Nun geht es mir als Atheisten so, wie der Mehrheit der Juden in Israel: Auf Gottes Treue zu seinem Volk gebe ich wenig. 2000 Jahre lang haben sich die Juden darauf verlassen, und am Ende waren sie verlassen. Eher ist auf die IDF, die Israeli Defence Forces, und den Mossad Verlass. Der ganze Sinn eines eigenen Staates besteht ja darin, dass man sich zur Not auch wehren kann, wenn der leider allzu häufige Fall eintritt, dass sich Gott grad nicht kümmern kann. Aber das klare Bekenntnis zu Israel als einem jüdischen Staat höre ich dennoch gern und – so weit ist es schon gekommen, dass man für das Selbstverständliche noch dankbar sein muss – mit Dankbarkeit.

Der Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit hat bei der Verleihung der diesjährigen Buber-Rosenzweig-Medaille außerdem Nikolaus Schneiders „Absage an die Judenmission ohne Wenn und Aber“ begrüßt, die aus der Überzeugung erwächst, dass die Kirche nicht an die Stelle, sondern an die Seite des Gottesvolkes Israel getreten ist. Wie gesagt, mir ist der Gedanke eines Gottesvolks fremd, und wenn man sich die Stelle in Deuteronium anschaut, in der Gott den Bund mit Israel begründet, versteht man, weshalb die meisten Juden herzlich gern die Bürde los wären; aber wenn man in solchen Kategorien schon denkt, dann ist diese Änderung einer zweitausendjährigen Diskriminierung zweifellos von historischer Bedeutung.

Aber dann gibt es so etwas: Unter der Überschrift „Partner für den Frieden – Mit Hamas und Fatah reden“ lädt die Evangelische Akademie Bad Boll zu einer Tagung ein, die vom 11. bis 13. Juni 2010 stattfinden soll. Gäste sind Abdullah Frangi von der Fatah und Basem Naim von der Hamas. Es mag für internationale Diplomaten – auch israelische – unumgänglich sein, mit der Hamas zu reden. Der Sinn der Diplomatie besteht ja – auch – darin, mit seinen Feinden zu reden, damit man nicht gegen sie Krieg führen muss. Ganz etwas anderes ist es, wenn eine Evangelische Akademie der Hamas vorweg den Titel „Partner für den Frieden“ verleiht. Das ist ein Skandal.

Die Hamas wird von der Europäischen Union als Terrororganisation eingestuft. Zu Recht. Auf das Konto der Hamas gehen zahllose Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf israelische Zivilisten. Die Charta der Hamas fordert die Auslöschung des Staates Israel und die Errichtung eines islamischen Gottesstaats zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer. In Gaza gibt die Hamas einen Vorgeschmack auf das, was auch und gerade den Palästinensern in ihrem Gottesstaat blühen würde: Internetcafés und Restaurants wurden geschlossen, politische Gegner – laut Amnesty International – willkürlich festgenommen, gefoltert und ermordet. Es mag dennoch richtig sein, mit der Hamas zu reden, auch wenn man kein Diplomat ist. Doch gerade wenn man kein Diplomat ist, wenn man also Klartext reden darf, muss vor allem ihr eliminatorischer Antisemitismus zur Sprache kommen.

Ich meine damit nicht allein die Feindschaft der Hamas gegen Israel, obwohl die Forderung nach Auslöschung des jüdischen Staates natürlich per se antisemitisch ist. Ich meine einen Rassen-Antisemitismus, der direkt abgeschrieben ist aus den Lehrbüchern der europäischen Antisemiten, auch wenn er sich „islamisch“ gibt. So heißt es in Artikel 32 der Hamas-Charta über die Juden: „Ihr Plan ist dargelegt in den Protokollen der Weisen von Zion, und ihr gegenwärtiges [Verhalten] ist der beste Beweis für das, was wir sagen. […] Den Kreis des Konflikts mit dem Zionismus zu verlassen ist Hochverrat. Alle die das tun, sollen verflucht sein. ‘Wer immer [im Kampf mit den Ungläubigen] ihnen den Rücken zukehrt […] zieht sich den Zorn Allahs zu, und seine Wohnung soll die Hölle sein…’ (Koran, 8:16)“ Laut Hamas arbeiten die Freimaurer, der Lions Club und der Rotary-Club insgeheim „im Interesse der Zionisten“ (Charta, Art. 22). Die Hamas sieht in den Juden die Verantwortlichen für die Französische Revolution, den „westlichen Kolonialismus“, den Kommunismus und die Weltkriege. Sari Nusseibeh, der palästinensische Präsident der Al-Quds-Universität in Jerusalem, meint zu Recht, die Charta der Hamas klinge wie etwas, „das direkt den Seiten des ‚Stürmer’ entstammt.“

Es verwundert nicht, dass der römisch-katholische Erzbischof und lateinische Patriarch von Jerusalem Fouad Tual den Dialog mit der Hamas befürwortet. Schließlich entspricht ihr Antisemitismus den Vorurteilen der vorkonziliaren Kirche und der unter Benedikt XVI zu neuen Ehren gekommenen Pius-Bruderschaft. Und wie so manchem Kirchenfürsten ist für Erzbischof Twal die Ordnung wichtiger als die Freiheit. Mit faschistischen (und, wenn man genau hinsieht, auch mit kommunistischen) Regimes hat sich die Kirche immer gut arrangieren können. Da herrscht nämlich Ordnung.

Dank der Hamas könne man sehen, dass die Zeit des Chaos im Gaza-Streifen vorbei sei, sagte seine Heiligkeit Tual in Radio Vatikan am 15. August 2007. Die Bewegung gehe mit eiserner Disziplin gegen Kriminalität vor. Es gebe keine Diebstähle mehr, man respektiere sogar die Ampeln. Na dann – was zählt ein bisschen mörderischer Antisemitismus gegen den Respekt vor Ampeln! Unter Mussolini fuhren die Züge ja auch endlich pünktlich. Unter der Ägide des deutschen Papstes mag eine neue Unkompliziertheit im Umgang mit Antisemiten in der katholischen Kirche Platz greifen – von einer Evangelischen Akademie hätte man denn doch etwas mehr Sensibilität erwartet. Zu Unrecht vielleicht. Er könne sich kaum vorstellen, dass man in Bad Boll die Charta der Hamas nicht kenne, sagte der ehemalige Vorsitzende des Islam-Arbeitskreises der Deutschen Evangelischen Allianz, Albrecht Hauser der evangelischen Nachrichtenagentur idea. Er sei „bestürzt über die ideologische Einflussnahme antijüdischer und antisemitischer Kräfte in kirchlichen Kreisen“. Das ehrt ihn. Aber was will er, was will die Kirche nun konkret tun?

Akademiedirektor Joachim Beck rechtfertigte gegenüber idea die Einladung an die islamische Terrororganisation, „Partner des Friedens“ zu sein. Es gehöre zum Auftrag der Akademie, mit den Menschen statt über sie zu reden. Gewiss doch. Aber kann man mit einem Minister der Hamas-Diktatur wie Basem Naim reden, ohne über das antisemitische Programm und die menschenfeindlichen Mordtaten der Hamas zu reden? Kann man einen Mann, der in der Hamas Karriere gemacht hat, als „Partner für den Frieden“ bezeichnen, bevor er sich auch nur mit einem Wort vom Antisemitismus seiner Partei distanziert hat?
Nein, über die Hamas wird in Bad Boll nicht geredet, wenn es nach Herrn Beck geht. Dafür umso mehr über Israel. Die geplanten „Arbeitsgruppen“ behandeln Themen wie: „Gewaltloser Widerstand gegen die Mauer“, „Blockade beenden: ein Schiff nach Gaza“, und „Wenn Firmen an völkerrechtswidrigen Siedlungen und an der Mauer Geld verdienen“ – kurz: wie können wir als nützliche Idioten „gewaltlos“ den terroristischen Kampf der Hamas gegen Israel unterstützen?

Themen wie: „Warum die Mauer? Rückgang der Terroranschläge um 90 Prozent seit Errichtung des Grenzzauns“; „Schiffe nach Gaza – Wie der Iran die Hamas mit Waffen versorgt“; oder gar „Hitlers Mufti – Die historische Verantwortung Deutschlands für die Entstehung des arabischen Antisemitismus“ spielen ebenso wenig eine Rolle wie etwa „Frauen unter islamistischer Herrschaft“ oder gar „Freiheit für Gilad Shalit“, den die Hamas seit Jahren als Geisel gehalten hat.

Zum Schluss, weil es hier eine große Rolle gespielt hat, möchte ich auf das so genannte Kairos-Dokument zu sprechen können, das der gute Erzbischof und Hamas-Bewunderer Tual mit unterzeichnet hat eigentlich lieber Kairo-Dokument heißen sollte, weil es mit den Ansichten der Muslim-Bruderschaft weitgehend übereinstimmt. Sie werden im ganzen Dokument kein Wort dazu finden, dass Israel ein Existenzrecht hat. Sie werden im ganzen Dokument kein Wort dazu finden, dass Israel seinem Charakter nach ein jüdischer Staat sein soll, eine nationale Heimstatt für die Juden, wie es die Balfour-Deklaration und der Versailler Friedensvertrag, der Völkerbund und die Vereinten Nationen festgelegt haben. Sie werden im ganzen Dokument kein Wort dazu finden, dass es die Araber waren, die den Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1948 ablehnten und stattdessen einen Krieg gegen Israel vom Zaun brachen, was erst zum Flüchtlingsproblem führte. Sie werden im ganzen Dokument kein Wort dazu finden, dass es wiederum die Araber waren, die 1967 die Juden ins Meer werfen wollten, was zu einem weiteren Krieg führte und zur Entstehung des Besatzungsregimes in den ehedem von Jordanien und Ägypten besetzten Teilen des Landes. Sie werden selbstverständlich nichts darüber lesen, dass Palästinenser in den Gebieten und Araber in Israel mehr Rechte haben als Araber und Palästinenser in Jordanien oder Syrien, in Gaza und bis vor kurzem in Ägypten. Sie werden im ganzen Dokument keine Verurteilung der Gewalt gegen Juden finden. Sie werden im ganzen Dokument keine Kritik des Programms der Hamas finden. Hingegen werden Sie lesen, dass die Palästinenser mit Unterdrückung, Vertreibung, Leid, Besatzung und Apartheid – ja, Apartheid – und nun kommt’s: „seit mehr als sechs Jahrzehnten“ konfrontiert seien, Wer ein Gehirn hat zu rechnen, der rechne. Gemeint ist: seit Gründung des Staates Israel. Wenn also von der Aufhebung der Besatzung, der Unterdrückung, des Leids die Rede ist, dann ist gemeint oder sagen wir: dann kann gelesen werden: Aufhebung des Staates Israel. Oder Aufhebung seines jüdischen Charakters durch das so genannte Recht auf Rückkehr und das Einreißen der Mauer, die Israel vor dem Terror schützt, der im Dokument als „legitimer Widerstand“ bezeichnet wird. Das ist ungefähr so, als hätte Jesus die Zeloten ermutigt, statt ihnen den Weg des Friedens zu weisen. Nirgendwo wird gesagt, dass die Juden ein Recht haben, in dem Land zu wohnen, in dem sie schon immer gewohnt haben, unter den Ägyptern, den Babyloniern, den Persern, unter ihren eigenen Königen, unter den Griechen, den Römern, den Arabern, den Türken, den Briten: immer gab es in Palästina eine jüdische Präsenz, erst 1929 wurde etwa Hebron durch ein arabisches Pogrom judenrein gemacht. Nirgendwo wird auf das Schicksal der jüdischen Flüchtlinge aus den arabischen Ländern hingewiesen. In der entscheidenden Passage heißt es: „Der Westen versuchte, das Unrecht, das den Juden in den Ländern Europas erlitten hatten, wiedergutzumachen, aber das Ergebnis war wieder Unrecht.“ So ein Unsinn! Die Juden hatten nicht in den Ländern Europas „Unrecht erlitten“. Sie waren dem Genozid ausgesetzt gewesen. Das „neue Unrecht“, so schlimm es gewesen sein mag, ist damit nicht vergleichbar. Und: der Westen hat gar nichts getan, um dieses Unrecht wiedergutzumachen. Die Briten sperrten die aus europäischen KZs entlassenen Überlebende des Holocaust erneut in Lager ein, verhinderten deren Einwanderung nach Palästina, taten alles, um die Entstehung eines jüdischen Staates zu verhindern und überließen die Juden schließlich ihrem Schicksal in der Annahme, dass die von britischen Militärs ausgebildeten Armeen Jordaniens, Syriens, Ägyptens und des Irak den jungen Staat überrennen wurden. Waffen bekamen die Israelis nur aus dem Osten – von der Tschechoslowakei. Wie können Christen solche Lügen verbreiten? Wieso wird dieses Dokument nicht von allen christlichen Kirchen als das verurteilt, was es ist: ein Manifest zur Delegitimierung Israels?

Im arabischen Frühling ist endlich klar geworden, was seit 1948 hätte klar sein müssen: die Feinde der Araber sind nicht die Israelis, sondern ihre eigenen Herrscher. Wann werden das auch die Christen begreifen?