Nachruf auf Nathan Peter Levinson

Nathan Peter Levinson  (23. November 1921 - 27. Oktober 2016)

Ein Nachruf

Am 27.10.2016 ist Rabbiner Prof. Dr. Nathan Peter Levinson, der ab 1965 für fast 20 Jahre jüdischer Präsident des DKR war, verstorben. Er fand seine letzte Ruhestätte in der Ehrenreihe des Jüdischen Friedhofs in Berlin Weissensee.

Nathan Peter Levinson wurde am 23. November 1921 in Berlin geboren und ist dort zur Schule gegangen. Er begann sein Rabbinatsstudium an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums und konnte Berlin noch 1941 verlassen. Er wurde dann am Hebrew Union College ordiniert.

Peter Levinson verkörperte jenes "ewige Dennoch", von dem Leo Baeck immer gesprochen hat. Als Zeuge des 20. Jahrhunderts wurde Rabbiner Levinson 1949 von der WORLD UNION FOR PROGRESIVE JUDAISM nach Berlin entsandt, um die liberal-jüdische Tradition, die einst von hier ihren Ausgangspunkt genommen hatte, im Sinne Leo Baecks fortzuführen, dessen Schüler Levinson noch 1940 in Berlin an der Hochschule des Judentums gewesen war. In diesem Sinn ist auch das große Engagement Rabbiner Levinsons bei der Gründung der Heidelberger Hochschule für jüdische Studien in den 1970er Jahren zu sehen, die dann aus seiner Sicht nicht die Aufgabe erfüllte, die ihr gestellt war, nämlich Rabbiner, Kantoren, Religionslehrer und Kultusbeamte auszubilden. Und er hätte es gern gesehen, wenn in den Räumen der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums nicht die Verwaltung des Zentralrates eingezogen wäre, sondern ein Rabbinerseminar.

Sharon Levinson, seine Tochter, die alle Stationen seines Wirkens erlebte, würdigte ihren Vater anlässlich seines 80. Geburtstags in bewegenden und zutreffenden Worten. U.a. beschrieb sie als jemanden, der in "seinem unendlichen Bemühen um Aussöhnung der Menschen in Deutschland nach dem Krieg,  d e n  Verdienst seines Lebens" errang. "Um den Bürgern dieses Landes das Judentum näherzubringen ist er landauf landab gereist", um zahlreichen jüdischen Gemeinden gleichzeitig dienen zu können. Unermüdlich hat er Radiosendungen, Vorträge und Predigten gehalten, was ihm den Spitznamen "rasender Rebbe" eingetragen hat, auch weil er "gern mit schnellen Autos die Autobahnen zwischen Konstanz und Hamburg abgedüst" ist. Das Reisen gehörte zu Peter Levinson seit seiner Emigration von Berlin über Russland, Korea, Seattle, New York Cincinnatti...

Nathan Peter Levinson wohnte in der Zeit als Berliner Gemeinderabbiner zu Beginn der 1950er Jahre in der Teplitzer Straße. Wenn ich in meiner Jugendzeit mit meinem Vater oder meiner Mutter dort auf dem Weg zum Roseneck oder in umgekehrter Richtung an seinem Wohnhaus vorbei kam, wurde stest angemerkt: "Peter ist der Nachfolger Leo Baecks. Ein Jammer, dass er nicht in Berlin geblieben ist." Gerade so, als wäre er damals freiwillig aus Berlin weg gegangen. Es war jedoch eine fristlose Kündigung des Gemeindevorstandes nach einer mutigen Pressekonferenz, die der Rettung der von der DDR bedrohten Juden dienen sollte, die sein Wirken in Berlin 1953 für lange Jahrzehnte unmöglich machte.

Aber einmal zur Barmizwa von seinem Cousin Albert – unserem Albert Meyer – hat er dann doch im Februar 1961 in der von ihm so geliebten Synagoge Pestalozzistraße mit seinem Kumpan Oberkantor Estrongo Nachama amtieren können… Und dann noch nach seiner Pensionierung Ende der 1990er Jahre zu den Hohen Feiertagen. Auch die Synagoge Sukkat Schalom im Hüttenweg hat er mit seiner Predigt beim ersten Gottesdienst am Schabbat Schuwa 1999 eröffnet und ist bis zu seiner Erkrankung immer wieder predigend – nein, uns alle erleuchtend und lehrend zurückgekehrt.

Jedes Zusammentreffen mit ihm war eine intellektuelle Bereicherung: das war schon in den 60er Jahren so, als er mit seiner damals noch nicht volljährigen Tochter zusammen mit seiner viel zu früh verstorbenen ersten Frau Helga gelegentlich nach Berlin kam, um dann immer gemeinsam mit meinen Eltern und oft auch mir, Essen zu gehen und den Lauf der jüdischen Welt zu erörtern. Und das blieb auch so in den beiden Jahrzehnten mit der unvergessenen Pnina Navé-Levinson. Die Gespräche mit Peter kreisten immer um den Wiederaufbau jüdischen Lebens in Europa, insbesondere in Deutschland, ohne je den Menschen, der ihm gegenüber saß, zu vergessen. Und wenn in einem Gespräch jener Punkt erreicht wurde, wo man sagen konnte, ja, jetzt ist der Kernpunkt getroffen, dann nickte Peter auf unnachahmliche Weise wissend mit dem Kopf. Was er übrigens auch in seinen Predigten tat, die immer auch eine jüdische Auseinandersetzung mit der Schoa enthielten und zugleich Dokumente liberaler jüdischer Gelehrsamkeit waren. Unvorstellbar, dass historisch gesicherte Fakten jüdisch traditionellen Vorstellungen widersprechen konnten und nicht stets als das wiedergegeben wurden, was sie sind: Ausdruck eines jüdischen Verständnisses der Epoche, in der sie entstanden sind. Rabbiner Nathan Peter Levinson hat es immer verstanden, von der Tradition zu lernen und aus ihr heraus zu lehren, aber er hat zugleich zu keiner Zeit verleugnet, dass wir 250 Jahre nach der Aufklärung leben. Diese Spannung, diese Brüche hob er mit den ihm eigenen unnachahmlichen Gedankengängen auf, die aber immer nachvollziehbar blieben.

Zentralratspräsident Josef Schuster würdigte Peter Levinson als einen der renommiertesten Rabbiner im Nachkriegsdeutschland: »Trotz der schrecklichen Erfahrungen in der Nazizeit war Rabbiner Levinson bereit zur Versöhnung und ging mit großer Offenheit wieder auf die nichtjüdischen Deutschen zu. Ebenso baute er Brücken zwischen liberalem und orthodoxem Judentum sowie zwischen Christen und Juden. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland verdankt ihm außerordentlich viel.«

Der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz und Ehrenvorsitzende des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Rabbiner Dr. Henry Brandt, charakterisierte Levinsons segensvolles Wirken mit den Worten: "Ein Pionier unserer Sache in Deutschland hat uns verlassen." Damit ist sowohl Levinsons Wirken in der jüdischen Gemeinschaft als auch im christlich-jüdischen Dialog beschrieben, dessen Wiederbeginn in Deutschland untrennbar mit seinem Namen verbunden ist.

Nathan Peter Levinson war der letzte deutschsprachige Rabbiner seiner Generation, der tatsächlich noch jene Mischung aus höchster wissenschaftlicher Gelehrsamkeit, aus aufgeklärter akademischer Liberalität und jüdisch-traditionellem Wissen darstellte, für das die deutsch-jüdische Rabbinergeneration um Leo Baeck stand.


Aus der Traueransprache anlässlich der Beerdigung am 2. November 2016 von Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama,
Jüdischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit