Wenn Populismus populär wird

Vortrag von Landesbischof Ralf Meister (Hannover) beim Treffen von Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz, des Rates der EKD, der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ARK) und der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD) am 12. März 2018 in Recklinghausen


Angst um Identität. Rechtspopulismus in einer verängstigten Gesellschaft

Sehr geehrte Damen und Herren,

bei der Gedenkfeier des Bundestags aus Anlass der Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz am 27. Januar 1945 sprach Wolfang Schäuble als Parlamentspräsident in seiner Rede davon, dass Hass und Gewalt in "unserer Gesellschaft keinen Raum haben, gegen wen sie sich auch richten, von wem auch immer sie verübt werden"(1). Es gab Beifall aus allen Fraktionen. Es folgte ein Satz, der in das ideologische Mark von Rechtspopulisten zielte, deren Vertreter sich oft auf "das Volk" berufen oder gar vor der "Umvolkung" Deutschlands durch die Flüchtlingspolitik warnen: "Wer vom Volk spricht, aber nur bestimmte Teile der Bevölkerung meint, legt Hand an unsere Ordnung". Im Plenum gab es wieder Applaus, auch oben auf der Tribüne bei den Repräsentanten der jüdischen Gemeinde und Vertretern muslimischer Verbände. Nur bei einer Fraktion bleiben diesmal die Hände stumm. Diese kurze Szene macht wie im Brennglas die Herausforderung deutlich, die der Rechtspopulismus für unser demokratisches Gemeinwesen und unsere Gesellschaft bedeutet.

I.

Wer sich auf das Volk beruft, verwendet ein kraftvolles historisches Bild. Ein Bild, das auch in der kirchlichen Tradition eine wichtige Rolle spielt, wenn von der „Volkskirche“ die Rede ist. Früher meinte man damit, dass die Kirche in religiöser Hinsicht das ganze Volk repräsentiere. Angesichts eines Drittels Konfessionsloser und vier bis fünf Millionen Muslimen in Deutschland kann man so heute nicht mehr von Kirche sprechen. Überhaupt ist es in einer immer bunter werdenden Gesellschaft schwierig geworden, pauschal und monolithisch von dem Volkswillen zu reden, wie das Rechtspopulisten gerne tun. Sie prononcieren sich lautstark als „Volkes Stimme“, sprechen tatsächlich aber nur für eine Minderheit.

Wenn ich heute von „Volkskirche“ spreche, dann nicht mehr im Sinn von „Kirche des Volkes“, sondern ich meine eine Kirche, die sich als Kirche für das Volk versteht. Jede, jeder kann sich auf diese Kirche berufen, in der Christen für Frieden und Gerechtigkeit einstehen – auch für diejenigen, die den christlichen Glauben nicht teilen. Die Verantwortung für Volk und Gesellschaft verbindet uns als Kirche m.E. auch mit der jüdischen Religionsgemeinschaft. Sie erwächst aus dem Zentrum unseres Glaubens. Es geht im Kern um das Bekenntnis zu Gottes Barmherzigkeit, die allen Menschen gilt, um die gemeinsame Tradition der hebräischen Bibel, die im Leitbild der Gottes- und Nächstenliebe ihren Kern hat.

II.

Eine vollmundige Berufung auf das Volk ist für mich aber auch darum schwierig geworden, weil dieser Begriff eine geschichtliche Last mit sich trägt. Er ist historisch vergiftet durch den Beigeschmack des „Völkischen“ und den nationalsozialistischen Bodensatz, der darin enthalten ist. Auch die Kirchen waren von diesem Geist leider nicht frei. Wenn ich daran denke, wie die „Deutschen Christen“ in der Zeit des Nationalsozialismus eine „Volkskirche“ im Geiste von Rassenideologie und Antisemitismus forderten erscheint es mir unglaublich, warum der Widerstand gegen die dafür konstruierten theologischen Begründungen so schwach blieb. Und heute beobachten wir, wie der Ruf „Wir sind das Volk!“, mit dem die Bürgerbewegung in der DDR am Ende der sozialistischen Diktatur demokratische Beteiligung und Rechte einforderte, rechtspopulistisch umgedeutet wird zu einer nationalistischen Parole, die sich gegen die demokratischen Organe des Staates richtet. Eine vergleichbare Entwicklung lässt sich bei allen rechten Bewegungen in westlichen Demokratien beobachten, sei es beim Front National unter Marine Le Pen, in der Danske Folkepartei oder im Kampfruf Donald Trumps mit dem Slogan „Make America Great Again“. Zum letzteren sei angemerkt, dass auch hier mein Entsetzen groß ist, dass in den USA eine große evangelikale Bewegung dezidiert diesen Nationalismus begeistert feiert.

Dagegen muss in unserem Land an eine andere Tradition erinnert werde: Das starke Bild einer im Volkswillen begründeten, geschichtsbewussten demokratischen Verfassung, die eine nationalistische Politik überwand, die unter dem Volksbegriff die individuellen Freiheitsrechte opferte und zum Regime von Unrecht und Gewalt wurde. Zwei charakteristische Merkmale möchte ich nennen, weil sie für die Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus von besonderer Bedeutung und Gewicht sind.

Wer sich auf das Volk oder die Nation beruft, muss wissen, dass es ursprünglich die Idee der Nation war, eine Einheit zu bilden, die eben einander Fremde zusammenband. Sie galt eben nicht für Teile des Volkes, sondern für das ganze Volk. Es war von Anfang an eine Einheit in Vielfalt. Genau davon sprach der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. In der föderalen Struktur und unserer parlamentarischen Verfassung bildet sich das bis heute in allen Facetten ab. Die Nation hält das Verschiedene zusammen. Es ist für unsere Demokratie daher nicht nur wesentlich, dass am Ende Mehrheiten entscheiden, sondern dass auf dem Weg zur Entscheidung Minderheiten ihre Rechte wahrnehmen können und Schutz erfahren. Der aktuelle Populismus verweigert sich einer demokratischen Tradition, die Vielfalt bejaht und Minderheiten schützt. Stattdessen setzt er auf die Idee einer vermeintlich homogenen nationalen und kulturellen Volksgemeinschaft; teilweise verbirgt sich dahinter nichts anderes als ein rassischer Nationalismus, die sich durch Abgrenzung definiert und in einer Wagenburgmentalität gegen innere und äußere Feinde verteidigt werden muss.

Eine zweite Besonderheit unserer demokratischen Tradition möchte ich nennen. Der Zentralrat der Juden hat vor wenigen Wochen Norbert Lammert mit dem Leo-Baeck-Preis geehrt. Norbert Lammert hat wiederholt die besondere Bedeutung der Erinnerung an die Katastrophe des Nationalsozialismus und das Verbrechen der Schoah betont. Lammert sprach vom „doppelten Vermächtnis des 20. Juli 1944“, die für unser demokratisches Selbstverständnis und unsere Identität wesentlich sind: „Die Scham über eine beispiellose Verirrung und das Selbstbewusstsein für ein neues demokratisches Deutschland, das sich dem heldenhaften Einsatz derer verdankt, die im Scheitern erfolgreich waren.“ Das ist denen zu sagen, die mit der bundesdeutschen Erinnerungskultur nichts zu tun haben wollen und damit die historische Verantwortung aufkündigen, die für uns als Deutsche aus unserer Geschichte heraus erwächst.

Die Inschrift über dem Deutschen Reichstag „Dem deutschen Volk“ steht insofern für das Vornehmste der demokratischen Verfassungstradition des Grundgesetzes. Unsere demokratische Kultur ist nicht voraussetzungslos. Sie wird getragen von der Erinnerung unserer Geschichte. Sie wird auch getragen von Überzeugungen, die in der jüdischen und christlichen Tradition verwurzelt sind. Als Juden und Christen sehen wir uns anwaltlich in der Pflicht für die Schwachen und Minderheiten. Wir wollen alles dafür tun, dass sich die Verbrechen, die im 20 Jh. im Namen unseres Volkes begangen wurden, nicht wiederholen.

III.

Bei einem Impuls zum Populismus muss man ein wenig auf die Trennschärfen des Begriffs achten. Populismus ist nicht gleichzusetzen mit Fremdenfeindlichkeit. Und Antisemitismus ist nicht zwingend populistisch, sowenig Populismus umgekehrt antisemitisch sein muss. Aber ohne Zweifel ist die Allianz von Populismus und Antisemitismus verbreitet und es gibt eine hohe Affinität von Populismus und Fremdenfeindlichkeit. Sie haben einen gemeinsamen Nenner: eine Identität, die sich durch Ab- und Ausgrenzungen definiert. Populismus akzeptiert Verschiedenheit. Er scheint darin „tolerant“ zu sein, aber es ist eine partikularistische Toleranz. Er akzeptiert nicht den Austausch, nicht das Zusammenleben, nicht die Vermischung des Verschiedenen, sondern setzt auf Trennung, Abschottung und Abwehr Das hat m.E. mit einer Identität zu tun, die als gefährdet erlebt wird. Rechtspopulismus ist meiner Wahrnehmung auch ein Ausdruck einer Angst. Er reagiert auf eine Gegenwart, die in ihrer Veränderungsdynamik und Unübersichtlichkeit von vielen Menschen als bedrohlich erlebt wird und darum auf alles Fremde mit Abwehr reagiert. Gegenwart wird als Krise beschrieben. Unsere Zeit ist geprägt von einer beispiellosen Beschleunigung gesellschaftlichen Wandels. Traditionelle Ordnungsvorstellungen werden in Frage gestellt und lösen sich auf. Ursachen hierfür sind wirtschaftliche und kulturelle Globalisierung, technologische Umwälzungen, die Vervielfältigung der Lebensformen, wachsende Mobilität, die tiefgreifende Umgestaltung von Arbeitsverhältnissen. Innovationsdruck, Produktivitätssteigerung und Wettbewerbsorientierung erhöhen den Druck auf den Einzelnen.

Es haben sich neue gesellschaftliche Bruchlinien gebildet zwischen denen, die den Wandel als Chance wahrnehmen, und denen, die verunsichert sind und Angst haben, zu den Verlierern zu gehören. Viele Menschen haben das Gefühl, „abgehängt“ zu werden. Wirtschaftliche Abstiegsängste und der Eindruck, Beheimatung zu verlieren, verdichten sich zu einer Mentalität der Abgrenzung gegen Fremdes und Fremde, die als Konkurrenten und Bedrohung empfunden werden. Flucht- und Migrationsbewegungen der letzten Jahre haben Fragen der Zugehörigkeit dringlich werden lassen. Sie verstärken Verlustängste und sind zugleich Projektionsflächen eigener Ängste.

IV.

Populismus formiert sich zugleich als Protest gegen eine politische und gesellschaftliche Elite, die als korrupt, marode oder als fremdbestimmt empfunden wird und die für die bedrohlich empfundenen Veränderungen verantwortlich gemacht wird. Das ist ein Resultat einer Entfremdung, in der viele die Sprache der Eliten nicht mehr verstehen und gleichzeitig sich selbst nicht mehr verstanden und gehört fühlen. Das wirksamste Instrument des Populismus ist dabei sein Kommunikationsstil, der sich von der traditionellen Politik bewusst absetzt. Die Sprache ist eingängig und einfach, die Bilder sind grell, die Botschaft simpel. Versprochen werden schnelle Fakten und einfache Lösungen: Durchgreifen, Aufräumen, Stärke. Mit einfachsten „Rezepten“ wird auf komplizierteste Fragen geantwortet. Identitätspolitik wird zur rhetorischen Geste, die so viel aussagt wie ein Statement auf dem TShirt. Provokationen werden gezielt eingesetzt; sprachliche Grenzüberschreitungen sind Methode. Wer in ab- und ausgrenzender Weise vom „Volk“ redet, ist schnell bei den „Volksfeinden“. Feindbilder schweißen zusammen; sie dienen als Projektionsfläche von Angstbildern. Stimmungen werden geschürt, die Rassismus salonfähig machen, die entwürdigen und verletzen. Irgendetwas – hofft man – bleibt von diesen Verzerrungen und öffentlichen Beschädigungen von Personen oder Minderheiten in der öffentlichen Meinung haften. Es ist eine Sprache, in der Sachlichkeit und Wahrheit emotionalen Gefühlslagen oder politischen Ambitionen untergeordnet werden. Gefühlte Bedrohungen können, so scheint es, mit der Komplexität unserer Welt nicht mehr schritthalten.

V.

Dieses Phänomen ist nicht neu. Die Geschichte kennt viele Populisten. Es gab sie auch in der Kirche. Rechtspopulisten berufen sich mitunter auf Luther. Auch das ist nicht neu. Aufsehen erregt hatte ein Wahlplakat der NPD im vergangenen Jahr: „Luther würde heute NPD wählen!“ Martin Luther war ein außergewöhnlicher, wirkungsvoller, populärer Autor und Redner. Seine Zeit war reif für Veränderungen, weil es nur ein paar Tropfen brauchte, um das Fass mit den Beschwerden, die sich schon lange aufgestaut hatten, zum Überlaufen zu bringen. So verbanden sich die reformatorischen Ansätze mit den grundlegenden Beschwerden (Gravamina) über die weltliche und kirchliche Obrigkeit, die bereits seit Jahrzehnten eine Rolle spielten.

Martin Luther nutzte die spannungsvolle Zeit und das kritische Potenzial zur Verbreitung seiner Ideen. Er beherrschte publizistisch den Meinungsmarkt; er wusste das neue Medium des Buchdrucks zu nutzen wie kein anderer. Die Flut seiner Veröffentlichungen war pointiert und partiell polemisch, derb und direkt. Seine Schriften sind nicht frei von Zweideutigkeiten und Ambivalenzen, böswilligen und polemischen Grenzüberschreitungen. In Verbindung mit dem Reformationsjubiläum haben sich die Kirchen insbesondere an die hasserfüllten Aussagen Luthers über die Juden erinnert. Seine diffamierende und diskriminierende Polemik trägt Züge, die eindeutig abzulehnen und zu verurteilen ist. Dass Luther im 19. Jahrhundert als Nationalheld, im 20. Jahrhundert von den Nationalsozialisten als Antisemit und jetzt wieder rechtspopulistisch instrumentalisiert werden konnte, ist insofern kein Zufall. Die Evangelische Kirche hat sich von Luthers antijüdischen Äußerungen in aller Deutlichkeit distanziert und einen kritischen Umgang mit judenfeindlichen Tendenzen in der reformatorischen Theologie angemahnt. Es bleibt die fortwährende Verpflichtung für jeden, der sich auf Martin Luther beruft, sich kritisch mit dieser Seite auseinanderzusetzen.

Aber Luther ging es trotz solcher Entgleisungen nicht um einfache Antworten. Ihn trieb die Suche nach der Wahrheit allein in Christus. Für die Antwort auf diese Frage allerdings wollte er Menschen bewegen. Mir erscheint aus der Erinnerung an Martin Luther der tiefe Graben zwischen der Sprache der Eliten und der des Volkes aus der Zeit der Reformation vertraut. Luther wollte die Menschen befreien aus gewohnten Abhängigkeiten. Es ist ihm gelungen, nicht nur die Sprache des Volkes zu verstehen, sondern zugleich das Evangelium, seine Verheißungen und seinen Anspruch in diese Sprache hinein zu übersetzen und den Graben zwischen Theologie und Leben, zwischen Bibel und Alltag zu überbrücken. Luther war in seinen besten Predigten und Traktaten populär ohne populistisch zu sein.

Die Sprachfähigkeit Luthers ist für mich eine bleibende Herausforderung für unser eigenes Reden. Viele Menschen verstehen die Sprache der institutionellen Eliten nicht. Sie fühlen sich übrigens auch unverstanden von der Sprache der Kirche. Und ich bin deshalb überzeugt: Wir müssen verständlicher herausstellen und dafür werben: die Werte, die für uns als Staat – und ich ergänze: für uns als Christen und Juden – grundlegend sind, entsprechen den Bedürfnissen der Menschen in unserer Gesellschaft unendlich viel mehr als jede populistische Versprechung.

VI.

Die Frage ist daher, was wir einer verrohten populistischen Sprachkultur mit ihren postfaktischen Lügen, ihren Hassparolen und einfachen Lösungen entgegensetzen können. Es ist klar: Politische Auseinandersetzung braucht Spielregeln und Grenzen. Im demokratischen Streit haben Gewalt und Rassismus keinen Ort. Hier braucht es engagierten und zugleich klaren Widerspruch. Ich erzähle Ihnen ein Beispiel aus meiner eigenen Landeskirche, das mich persönlich sehr beeindruckt hat. Der niedersächsische Pastor Wilfried Manneke erhält in diesem Jahr den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage des Zentralrats der Juden in Deutschland. Pastor Manneke engagiert sich seit vielen Jahren gegen Rechtsextremismus. Er gehört zu den Gründern der Initiative „Kirche für Demokratie – gegen Rechtsextremismus“ der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Manneke war lange Jahre Auslandspfarrer in Südafrika. Das war noch zu Zeiten der Apartheit. Er beschreibt in einem Interview der Jüdischen Allgemeinen, das gerade vor einigen Tagen erschienen ist, wie ihn das sensibel gemacht hat für Rassismus, Ausgrenzungen und alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Und dann berichtet er: „Als ich … [1995] meine Stelle in Unterlüß angetreten habe, musste ich mit Schrecken feststellen, dass sich nur 20 Kilometer entfernt ein Schulungszentrum befand, das … ein Treffpunkt der rechtsextremen Szene war.“ Das war für ihn Anlass und Anfang seines Engagements gegen Rechtsextremismus hier in Deutschland. In seiner Begründung für die Ehrung durch den Zentralrat schreibt Präsident Dr. Josef Schuster: „Pastor Manneke beweist mit seinem außergewöhnlichen Engagement Mut und Beharrlichkeit. Obwohl er persönliche Anfeindungen ertragen muss und bereits Anschläge auf ihn und seinen Wohnort verübt wurden, lässt sich Pastor Manneke nicht einschüchtern. Er und seine Mitstreiter zeigen … einen herausragenden Einsatz zum Schutz von Minderheiten und für unsere Demokratie. Mit seiner Zivilcourage ist [er] … für uns alle ein Vorbild.“ In dem Wort Zivilcourage ist für mich zusammengefasst, worauf es ankommt: ein persönliches Engagement, in dem sich Authentizität und Glaubwürdigkeit, Beharrlichkeit aber auch Mut verbinden. Ich bin dankbar, dass es Menschen wie Pastor Manneke gibt. In aller Klarheit des Widerspruchs und Widerstands erkennt er auch Ursachen und Probleme, die zu einem Erstarken des Rechtspopulismus geführt haben. Z.B. in seiner Region, der Lüneburger Heide. „Das hat“, sagt er, „auch damit zu tun, dass diese Gegenden dünn besiedelt und strukturell schwach [ist] …, es gibt … nur wenige Arbeitsplätze!“

Es hilft wenig in moralischer Entrüstung auf die populistische Exklusionsrhetorik wiederum mit Ausschlüssen zu reagieren. Wir verurteilen schnell im Sprechen über den Populismus Menschen, die so reden. „Wir dürfen oder sollen nicht mit ihnen reden“, „wir müssen sie verhindern“ und andere starke Worte hört man von uns aus der Kirche nicht selten. Wir laufen Gefahr, in solchen Sätzen nicht nur Worte und Positionen, sondern auch die Menschen zu verurteilen. Als evangelischer Christ ist mir immer wieder die elementare Unterscheidung zwischen Sünde und Sünder eine Mahnung. Deshalb müssen wir neben allem Widerspruch gegen Hassparolen und Fremdenfeindlichkeit zugleich versuchen, auch mit den Menschen zu reden, die unsere Ansichten verachten oder ignorieren. Ihre Würde fällt nicht dahin, ihre Gottebenbildlichkeit ist nicht aufgelöst. Eine solche Haltung macht den Umgang mit populistischen Positionen nicht einfach. Im Gegenteil. Darüber könnte ich einiges erzählen. Was ist nötig? Ein authentisches Eintreten für unsere demokratischen Werte, aber auch Sensibilität, Sprach- und Dialogfähigkeit – gerade gegenüber denen, die sich von rechtspopulistischen Parolen angezogen fühlen.

VII.

Ich möchte abschließend auf einen Text hinweisen, den die Kammer für Theologie der EKD erarbeitet hat zum Umgang mit populistischen Stimmen und den ich als hilfreich empfinde. Unter dem programmatischen Titel: „Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung“(2) wird für eine demokratische Verständigung geworben. Es geht darum, Antworten zu finden auf globale Herausforderungen, sozialen Wandel und Abstiegsängste, ohne dass es Patentrezepte gibt.

Unsere Demokratie ist angewiesen auf die Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger. Politik muss daher die Bereitschaft zur Beteiligung stärken. Sie tut das, wenn sie einen profilierten politischen Wettstreit befördert, der die vielfältigen Anliegen und Stimmen der Menschen zu Gehör bringt. Sie muss darauf achten, Räume des Vertrauten und des Vertrauens zu erhalten. Es geht darum, das Erleben von Beteiligung und Repräsentation zu stärken. Demokratische Politik muss wieder hörbereiter, dialogischer gestaltet werden. Populistische Provokationen können die Demokratie insofern stärken, wenn sie die etablierten politischen Kräfte zwingt, ihre eigenen Positionen zu schärfen und responsiver zu gestalten. Auch darin, dass scharfe Grenzen gezogen werden. So wie nicht alles erlaubt ist, darf auch nicht alles gesagt werden!

Kirchen sollen und wollen, geprägt durch das Evangelium des Friedens und der Versöhnung, Orte der demokratischen Beteiligung sein“ – heißt es in „Konsens und Konflikt“. Demokratie meint nicht eine Diktatur der Mehrheit. Sie zielt auf eine Verständigung, die Rechte und Bedürfnisse von Minderheiten achtet und die Schwachen schützt. Für ein solches Demokratieverständnis treten Christen gemeinsam mit Juden ein.

Zu den Schwachen und Schutzbedürftigen gehören jene, die vor Krieg, Verfolgung und Bedrohung zu uns flüchten, ebenso wie die, die Angst haben in unserer Gesellschaft abgehängt und an den Rand gedrängt zu werden. Es gilt, der Sprache der Ausgrenzungen eine Praxis des Involvierens und Sich-Einlassens entgegenzusetzen. Es gilt auch, die Nöte und Ängste von Menschen zur Sprache zu bringen. Und es gilt, den Konflikt zwischen den Rechten schutzsuchender Menschen und der Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens auszutragen, ohne den Verlockungen und Versuchungen des Populismus zu erliegen. Widerspruch ist notwendig, wo Populistinnen und Populisten die Grundregeln und normativen Grundsätze demokratischer Politik zur Disposition stellen. Die Grenzen der Gesprächsbereitschaft liegen dort, wo physische oder psychische Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung legitimiert wird, wo Ideologien der Ungleichwertigkeit zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen führen (egal ob aufgrund von Volk- oder Religionszugehörigkeit oder aufgrund der sexuellen Orientierung). Ich schließe mit einem Zitat aus „Konsens und Konflikt“, das aus christlicher Perspektive noch einmal die besondere Verantwortung der Christen und der Kirchen deutlich macht.

„Das Evangelium von Jesus Christus als Grund der Kirche verkündigt die in Gottes Sohn geschenkte Versöhnung des Menschen mit Gott. Jeder einzelne Mensch ist ein mit unverlierbarer Würde begabtes Geschöpf Gottes, dem gerade in seiner Einmaligkeit und Unterschiedenheit von anderen Respekt gebührt. … Dieser Grund der Kirche soll auch ihre tatsächliche Gestalt und ihre Praxis prägen. Die Kirchen … sollen Orte sein, an denen Menschen diese Anerkennung und diesen Frieden erfahren ...

Diese Botschaft des Evangeliums ist eminent politisch. Der erste und vornehmste Ort dieser politischen Praxis der Kirchen ist das Miteinander sehr unterschiedlicher Menschen in den Gemeinden, Gemeinschaften und Werken. Die Kirchen mit ihrer tiefen und breiten sozialen Verankerung sollen und wollen … Foren sein, auf denen Konflikte ausgetragen werden, Ängste gehört und bearbeitet, Gespräche geführt und Menschen einbezogen werden: Sie sind Orte demokratischer Beteiligung.“

Was hier vom Evangelium her begründet ist, trennt uns als Christen nicht vom Judentum. Denn das Evangelium selbst wurzelt im jüdischen Gottesglauben. Gerade im Eintreten für Versöhnung und in der Achtung der Würde eines jeden Menschen zeigt sich, was Christen durch den Juden Jesus von Israel als Volk Gottes empfangen hat.

Christen, Christinnen, Juden und Jüdinnen stehen in gemeinsamer Verantwortung für die Zukunft unseres toleranten, freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


ANMERKUNGEN:

(1) https://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/004/5412668
(2) Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung. EKD, Hannover 2017