Die Rolle der Religionen in Europa

10. März 2014

Grußwort von Klaus Schlie, Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages, beim Begegnungstreffen "Kirchen und Rabbinerkonferenzen" am 10.03.2014 in Kiel



Sehr geehrte Frau Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, liebe Frau Dr. Schwaetzer,
sehr geehrter Herr EKD-Ratsvorsitzender Dr. Schneider,
sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident des Deutschen Koordinierungsrates,
sehr geehrte Herren Landesrabbiner,
Exzellenzen, sehr geehrte Herren Weihbischöfe,
meine sehr geehrte Damen und Herren,

Ihr Treffen im Rahmen der „Woche der Brüderlichkeit“ steht im Zeichen der Thematik, welche Rolle Religionen heute in Europa spielen. Für viele Menschen mag diese Frage nebensächlich oder gar unerheblich sein. Wir verfolgen seit Jahrzehnten eine Entwicklung, dass die Bedeutung der Religion, der Glaube an Gott und daraus abgeleitete ethisch-moralische Grundsätze für viele Menschen an Bedeutung verloren haben oder völlig bedeutungslos geworden sind.

Zugleich erleben wir in Teilen der Welt – auch in Europa – eine Tendenz zur Radikalisierung des Glaubens, religiöser Fanatismus und Extremismus sind als neue Phänomene beinahe täglich in den Medien präsent. Mit durchaus fatalen Folgen, wie ich meine.
Die grundsätzliche Friedensbotschaft des christlichen, jüdischen und muslimischen Glaubens wird dabei nur allzu oft vergessen.

Und noch etwas blendet die einseitige Fokussierung auf extremistische Verirrungen aus: Die grundsätzliche Bedeutung der Religion für die Schaffung und den Erhalt unserer europäischen Gesellschaftsordnung. Religion und Aufklärung, religiöse Institutionen und Demokratie sind natürlich kein Widerspruch, sie bedingen einander.

Die Aufklärung wäre ohne ihr christlich-jüdisches Fundament nicht denkbar und die Rolle religiöser Organisationen und Institutionen stellen keine Konkurrenz zu staatlichen Einrichtungen dar, sondern sind hilfreiche Partner beispw. bei sozialen und gesellschaftlichen Projekten.

In Deutschland gilt das Grundrecht der Glaubensfreiheit und der freien Religionsausübung. Niemand wird gezwungen zu glauben, oder nicht zu glauben. Wenn wir allerdings die Frage nach der Rolle der Religionen in Europa stellen und den Blick in die Vergangenheit richten, so wird unabhängig von der ganz persönlichen Nähe oder Ferne zur Religion deutlich, dass der christliche und jüdische, in einigen Teilen Europas auch der islamische Glaube in Kulturen, Gesellschaften und Wertesystemen tiefe Spuren hinterlassen haben.

Das prägt unsere Gesellschaft bis heute, sei es an der Oberfläche durch religiöse Bauwerke oder aber auch im Alltagsleben – ich denke an die religiösen Feste, die auch von den Menschen gefeiert werden, die oft mit den ursprünglichen religiösen Inhalten der Festtage nichts mehr anfangen können.

Ich bedauere das zutiefst, denn Festtage, religiöse Feiertage, sollten in einer Gesellschaft und insbesondere in einer mittlerweile stark von Konsum und Materialismus geprägten Gesellschaft, ihre tiefere geistige Bedeutung nicht verlieren.

Dass demgegenüber jüdische und auch islamische Feste in Deutschland in der letzten Zeit stärker thematisiert werden, halte ich vor diesem Hintergrund für durchaus fruchtbar. Die Kenntnis wichtiger religiöser Feste anderer in Deutschland verwurzelter oder neu hinzugekommener Religionen können meines Erachtens nach auch das Bewusstsein für die christlichen Festtage wieder stärken.

Die Geschichte Europas und seiner Völker war immer auch die Geschichte religiöser Überzeugungen, Auseinandersetzungen und schließlich auch der Versöhnungen zwischen Religionen.

Wir haben heute einen Stand in Europa erreicht, in dem die Religionen einander nicht mehr bekämpfen. Vielmehr sehen sich Glauben, Spiritualität und Religionsausübung ganz gleich welcher Konfession oder Religion einer wachsenden Abkehr vieler Menschen gegenüber. Ich halte das für eine bedenkliche Entwicklung.

Meine Damen und Herren,
als Abgeordneter und Präsident des Schleswig-Holsteinischen bin ich froh über jede Bürgerin und jeder Bürger, der sich für das Allgemeinwohl einsetzt. Ob er das aus religiöser Überzeugung heraus tut, oder aber aus einer humanistischen Gesinnung heraus, in der der Glaube an Gott keine Rolle spielt, ist dabei zunächst einmal unerheblich.

Sorge bereitet mir die eben erwähnte wachsende Zahl von Menschen, die zwischen ihrem Handeln und einer Ebene moralischer Reflexion keinen Zusammenhang mehr herstellen.

Wir haben bei uns im Schleswig-Holsteinischen Landtag gerade eine aktuelle Diskussion über die Reform unserer Landesverfassung. Dabei wird auch die Frage erörtert, ob wir in einer neu zu verfassenden Präambel den Anspruch formulieren, dass wir unser politisches Handeln „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“ ausrichten. Ich plädiere leidenschaftlich für diesen Gottesbezug in unserer Verfassung und empfinde alles das, was im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit hier in Kiel stattgefunden hat als Stärkung und Rückenwind für diese Position.

Ich weiß, dass ich Sie natürlich nicht davon überzeugen muss, welche wichtige Rolle der Glaube für einen Menschen aber auch für unsere gesamte europäische Kultur und das friedliche Miteinander und Füreinander der Menschen besitzt.

Vielmehr möchte ich die „Woche der Brüderlichkeit“ und ganz besonders den heutige Tag dazu nutzen, Sie alle darum zu bitten, immer wieder selbstbewusst als Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen konfessionellen und religiösen Gemeinschaften Position zu beziehen, sich einzubringen und den Menschen eben jene Angebote zu machen, die kein Medium und kein Internetportal jemals machen kann. Die Hinwendung zur Religion bietet den Menschen Halt und Orientierung.

Bieten sie uns auch weiterhin geistige Nahrung, nehmen Sie Stellung und äußern Sie Kritik. In unserem politischen System gilt die Trennung des staatlichen vom religiösen Bereich. Unser aller Leben aber ist vielfältig geprägt, und religiöses Bekenntnis und politisches Engagement schließen einander nicht aus, sondern passen sehr gut zusammen.  

In Ihrer Einladung wiesen Sie unter anderem daraufhin, dass in Deutschland und ganz Europa Stimmen laut werden, die eine „Privatisierung“ der Religion fordern. Diese Forderung beruht meines Erachtens nach auf einem Missverständnis. Natürlich ist der Glaube, und vor allem das Gespräch mit Gott im Gebet eine sehr persönliche Angelegenheit.

Glaube aber ist ohne Glaubensgemeinschaft nicht denkbar. Glaube und Religionsausübung sind keine Monologe, sie brauchen die Gemeinschaft von Menschen. Sowohl im Christentum als auch im jüdischen Glauben schreiben die heiligen Schriften deshalb auch vor, dass Gottesdienste nicht allein, sondern nur von mehreren Gläubigen gehalten werden können.

Deshalb ist die Forderung nach einer Privatisierung der Religion kontraproduktiv und abwegig. Es wäre vielmehr wünschenswert, dass sich unsere gesamte Gesellschaft, ob nun religiös oder nicht, ein Beispiel an der lebendigen Gemeinschaft von Juden und Christen nimmt.

Die christlichen Kirchen und die jüdischen Gemeinden sind integrativer Bestandteil unserer Gesellschaft. Sie haben deshalb nicht allein das Recht, sondern sogar die Pflicht, sich einzubringen. Ihre Beiträge sind willkommen und sie sind notwendig. Die jüngste Debatte über das Verständnis von Ehe und Familie zeigt das deutlich – dieses Thema ist ja zugleich auch auf dem Arbeitsplan Ihres internen Begegnungstreffens.

Ich sehe das fruchtbare Miteinander von Christen verschiedener Konfessionen und Juden auch als geeignetes Vorbild für den Umgang in unserer Gesellschaft im Allgemeinen.

Mit der Toleranz und Akzeptanz anderer Vorstellungen, Überzeugungen und Werte ist es gerade bei den Interessengruppen nicht immer zum Besten bestellt, die jede Nähe zur Religion ablehnen. Wer Toleranz einfordert muss auch Toleranz üben.

Die Rolle, die Religionen in Europa heute spielen und vor allem zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger spielen können, darf nicht unterschätzt werden. Ich freue mich deshalb, dass Sie bei uns im Landeshaus über diese Rolle nachdenken, sie diskutieren und wünschenswerter Weise zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen, die uns voranbringen.

Dazu wünsche ich Ihnen inspirierende Vorträge, eine fruchtbare Debatte und einen regen Austausch.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.