Freiheit - Vielfalt - Europa

Grußwort von Ministerpräsident Torsten Albig zur Eröffnung Woche der Brüderlichkeit am 9. März 2014 im Opernhaus zu Kiel.


Schleswig-Holstein freut sich sehr, in diesem Jahr die Woche der Brüderlichkeit auszurichten. Ihnen allen ein ganz herzliches Willkommen bei uns im Norden.

Jüdisches Leben ist Teil des kulturellen Erbes unseres Landes. Viele Jahrhunderte lang gehörte es ganz selbstverständlich zum kulturellen Leben in Deutschland.
Mit Freude und mit Dankbarkeit beobachten wir die Entwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte: Jüdisches Leben erstarkt wieder in Deutschland. In den 90er Jahren entschieden viele Jüdinnen und Juden aus der zerfallenden Sowjetunion: Deutschland wird ihnen eine sichere und tolerante neue Heimat sein.

Was die Nationalsozialisten auf immer zu zerstören gehofft hatten, erfand sich neu: jüdischer Alltag. Der ganz selbstverständlich zu Deutschland gehört. Bei uns in Schleswig-Holstein zum Beispiel haben die Jüdischen Gemeinden inzwischen wieder so viele Mitglieder wie vor der Nazi-Zeit. Wie vor der Shoah.

Jüdisches Leben und jüdische Kultur sind wieder spürbar in unserem Land. Das ist ein großes Geschenk für Schleswig-Holstein und für die Bundesrepublik insgesamt.

Und es ist keine Selbstverständlichkeit: Es gehört viel dazu, Deutschland wieder zu vertrauen. Wir alle müssen weiter daran arbeiten, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist.

Es zeigt sich wieder in Europa: das Ungeheuer, das Faschismus heißt, das Ungeheuer, das Antisemitismus heißt.

In Deutschland gibt es immer wieder Angriffe auf jüdische Einrichtungen, antisemitische Schmierereien auf jüdischen Friedhöfen, antisemitische Ausfälle gegen unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Dem müssen wir auch in Zukunft mutig und bestimmt entgegentreten. Mit allen einem Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mitteln.

Wir brauchen dieser Tage nur in die Ukraine zu blicken, um zu merken, wie zerbrechlich Toleranz ist. Auch bei uns in Europa.

Am Umsturz in der Ukraine beteiligen sich auch Radikale und Rechtspopulisten. Sie lassen die dortigen Jüdinnen und Juden um ihre Sicherheit fürchten. Der Rabbiner in Kiew hat seine Gemeinde aufgefordert, aus der Stadt und wenn möglich auch gleich aus dem Land zu fliehen.

Ungarn ist Teil der Europäischen Union. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Budapest sagt: Er könne nur hoffen, dass Ungarn ein Land bleibt, in dem Juden weiterhin leben können.

Auch in Frankreich lassen sich diese Entwicklungen beobachten.

Vier Länder – eine Furcht: Haben Juden hier einen sicheren Platz? Hier bei uns, mitten in Europa?

Es gab Zeiten, da es für Juden keinen sicheren Platz bei uns gab. Nicht bei uns in Deutschland und nicht in dem von Deutschland besetzten Europa. Das müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen.

Nur wer sich erinnert, stellt sich von Anfang an gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Rassismus, gegen Antisemitismus. Deshalb müssen wir dem Vergessen etwas entgegen setzen. Und gerade heute müssen wir neue Wege gehen, um die Erinnerung an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wachzuhalten. Die zeitliche Distanz wird größer. Immer weniger Zeitzeugen können uns im Gespräch erinnern. Deshalb müssen die Orte erzählen: von Gewalt und Massenmord, von Propaganda, von Verblendung und Rassenwahn, von Vertreibung und Vernichtung.

Wenn in Zukunft die Orte erzählen sollen, dann brauchen wir ansprechende Gedenkstätten. Deshalb unterstützen wir unsere KZ-Gedenkstätten in Schleswig-Holstein jetzt noch nachdrücklicher in ihrer Erinnerungsarbeit. Damit sie uns mahnen, wenn die Zeitzeugen es nicht mehr können.

Heute ehren wir mit György Konrád einen Mahner, der die Erinnerung wachhält. Einen kritischen europäischen Geist.
Verehrter Herr Konrád, es ist uns eine Ehre, Sie heute in Kiel zu haben. Entschlossen setzen Sie sich für eine freie und tolerante Gesellschaft ein. Sie erheben Ihre Stimme gegen Rassismus und Antisemitismus. Die Auszeichnung mit der Buber-Rosenzweig-Medaille soll Sie in diesem Engagement ermutigen.

Meine Damen und Herren,
wir alle sollten uns immer wieder gegenseitig ermutigen, weiter an einem guten Miteinander zu bauen. Wir dürfen nicht zulassen, dass in Europa Intoleranz und Hass Beifall geklatscht wird. Oder tatenlos geduldet.

Im Mai wählen wir ein neues Europaparlament. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, den Hasspredigern den Weg zu verstellen.

Rücken wir enger zusammen! Hass entsteht aus Ignoranz. Wir begegnen Fremdenfeindlichkeit oft dort, wo es nur wenig ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger gibt.
Dort, wo wir in unserem Verschiedensein miteinander leben, miteinander feiern, wo wir miteinander lachen und miteinander weinen, da entsteht eine starke Gemeinschaft.

Europas Stärke ist die Vielfalt. Diese Stärke auszuspielen, hängt an jedem einzelnen von uns. Wie wir dem Fremden, dem Anderssein vor unserer Haustür begegnen, das macht am Ende die Toleranz eines Staates und seiner Gesellschaft aus.

Unser Europa steht für ein gleichwertiges Nebeneinander verschiedener Haltungen.
Mein Schleswig-Holstein ist ein weltoffenes Land, in dem alle Menschen willkommen sind. Gleich welcher Nationalität, gleich welchen Glaubens. Auch das friedliche Miteinander von Christen, Juden und Muslimen macht unser Schleswig-Holstein zu dem, was es ist.

Ethnische und religiöse Minderheiten können heute mehr denn je am Leben der Mehrheitsbevölkerung teilhaben.
Wir müssen sie nur lassen. Jeder Einzelne von uns!

Unser modernes Europa kann das! Wenn wir uns immer wieder und jeden Tag dafür stark machen. Toleranz ist kein Selbstgänger. Wir müssen für sie kämpfen.
Und ich sehe, dass wir das in Europa schaffen können. Wir wollen keinen Hass. Wir wollen keine Ausgrenzung. Wir wollen ein friedliches, ein wertebasiertes Europa.

Früher meinte man, Konflikte mit Kriegen lösen zu können. Unser heutiges Europa basiert auf der festen Überzeugung, dass Gespräche und Verhandlungen das richtige Mittel sind. Solange wir sprechen, akzeptieren wir andere Ansichten.

Schweigen ist nicht Gold, meine Damen und Herren. Schweigen ist Blech! Das gilt zwischen Menschen, zwischen Staaten, zwischen Religionen.

Die Woche der Brüderlichkeit bietet Raum für Gespräche. Danke Ihnen allen, die Sie diesen Austausch möglich machen. Danke Ihnen allen, die Sie den Dialog suchen und finden.

Wir in Deutschland haben eine besondere Verantwortung zu mehr Dialog. Wir Deutsche haben eine besondere Verantwortung zu mehr Mut, zu mehr Zivilcourage.

Wir in Deutschland sollten gelernt haben, dass Schweigen eine Sackgasse ist.
Im Englischen nennt man eine Sackgasse ein „Dead End“. Lassen Sie uns gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, dass unser Weg kein solches Ende nimmt. Gemeinsam können wir das. Wir haben in den vergangenen 70 Jahren so unglaublich viel erreicht. Vieles, was kaum einer 1945 je für möglich gehalten hätte.

Lassen Sie uns den Weg der Toleranz und der Vielfalt weitergehen.
In Schleswig-Holstein, in Deutschland, in Europa.
Aufrecht und Hand in Hand!