UM GOTTES WILLEN - Um des Menschen Willen

Begrüßung des jüdischen Präsidenten des Deutschen Koordinierungsrates Landesrabbiner em. Dr. Henry G. Brandt und Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit im Theater am Aegi, Hannover


Über 30 Jahre habe ich nun die ehrenhafte Aufgabe als jüdischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates zu amtieren und hatte somit das Privileg, etliche Wochen der Brüderlichkeit in verschiedenen Städten unseres Landes zu eröffnen. Die Zeit ist nun gekommen, den Stab weiterzureichen und dies wird wohl das letzte Mal sein, dass ich in dieser Eigenschaft und zu diesem Zweck vor Ihnen stehe.

Somit ist dies auch für mich persönlich eine Zeit des Rückblicks über 30 Jahre Entwicklung des Gesprächs und des Dialogs zwischen Christen und Juden und die segensreiche Arbeit der über 80 über das ganze Land verteilten Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Gerade deshalb empfinde ich es als eine ganz besondere Freude und Ehre heute während dieser Feier unseren Schirmherr Herrn Bundespräsidenten Joachim Gauck begrüßen zu dürfen. Es soll mir nicht verübelt sein, dies als eine Art Belohnung und Bestätigung unserer Anliegen und Arbeit zu verstehen; Anerkennung für Geleistetes und Ermutigung für die Zukunft.

[Begrüßung der Ehrengäste]

Nicht wenige werden sich ob unserer Wahl des Arbeitsthemas für dieses Jahr 2016 gewundert haben. „UM GOTTES WILLEN“ scheint auf den ersten Blick so gar nichts mit den zahlreichen komplexen, dringenden, manchmal beängstigenden Problemen des Tagesgeschehens zu tun zu haben. Das, was uns momentan auf den Nägeln brennt, scheint hier nicht angesprochen zu sein. Doch das wäre eine völlig falsche Sicht auf unsere Intention, denn natürlich sehen wir unsere Aufgabe gerade darin, aus den Perspektiven des Christen- und des Judentums uns den anliegenden Problemen und Herausforderungen unserer Gesellschaft zu stellen. „UM GOTTES WILLEN“! Hier geht es um die Suche nach der fundamentalsten, tragenden Ebene unseres menschlichen Verständnisses über das, was unser Leben auf der Welt ausmacht. Die Frage wird gestellt nach den Grundlagen unseres Handelns in allen Bereichen unserer Existenz, sei es im engen Rahmen unserer Familie oder als Teile der breiteren Gesellschaft. Es ist die Suche nach verlässlichen Leitlinien für unsere Entscheidungen, für unser Handeln, in den unzähligen und komplizierten Situationen, mit welchem uns das Leben konfrontiert. Entscheidungen, die je nach unserer Position in der Gesellschaft kleinere oder größere Auswirkungen auf das Wohlergehen anderer Menschen haben.

In einer weitgehend säkularen Gesellschaft meinen Viele, dass man Gott aus dem Spiel zu lassen habe, dass er in die Privatsphäre zu verbannen sei. Die Formulierung unseres Jahresthemas setzt kein bestimmtes Gottesverständnis voraus. Es konstatiert nicht, wer oder was Er ist und wagt auch nicht vermessen genug zu sein, um zu definieren, was „sein Wille“ ist. Es ist nicht konfessionell definiert. Herausfordernd stellt es die Frage, ob es jenseits zufälliger Existenz und menschlichen Verstandes doch eine – sagen wir mal – schaffende und ordnende Macht gibt, die am Ende doch allem menschlichen Sein/Denken, Planen und Tun übergeordnet ist. Wenn wir diese Gott nennen, dann bedeutet das noch nicht, dass wir sie verstehen und beschreiben können. Wenn wir die Welt, auf der wir leben, die Schöpfung, das gesamte Universum, in dem wir existieren, in ihrer grandiosen Herrlichkeit betrachten, erleben wir Ordnung und Gesetzlichkeit, eine bestimmte übergreifende Harmonie, die auch Erschaffung und Vergehen, Geburt und Tod, enthält, Anfang und Ende, aber auch Fortschritt und Kontinuität.

Möglicherweise könnte man es als den „Willen“ Gottes verstehen, die Ordnung und Gesetzlichkeit der Schöpfung in unserer Welt, in unserer Gesellschaft, abzubilden und zu erhalten. Die uns gestellte Aufgabe ist es dann, die entsprechenden Wege zu suchen, zu erkennen und umzusetzen. Wegzeichen dafür könnten Begriffe wie Nächstenliebe, Menschenwürde, Mitgefühl, Barmherzigkeit, Friede und Verständigung, Respekt vor Schöpfung, Tier und Mensch sein. Wie gesagt, es geht um die fundamentale Ausrichtung, die ureigentliche Motivation hinter unseren Entscheidungen und unserem Handeln.

Ich sehe voraus, dass eine redliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik zu dem Schluss führen wird, „um Gottes Willen“ bedeutet gleichermaßen „um des Menschen Willen“, d.h. um „unseren Willen“. Mit dieser Überzeugung bin ich vor 30 Jahren angetreten und mit dieser Überzeugung schaue ich auf morgen.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Damen und Herren, hiermit eröffne ich die Woche der Brüderlichkeit 2016.