"Ich lege meine Hand auf meinen Mund". Gottesbeziehung und menschliche Souveränität im Buch Hiob

Rabbiner-Brandt-Vorlesung 2008

Prof. Dr. Alfred Bodenheimer


Sehr geehrter Herr Rabbiner Brandt
Sehr verehrte Frau Dr. Schulz-Jander
Sehr geehrter Herr Sirsch
Meine sehr verehrten Damen und Herren


Wer war Hiob? Wofür steht dieses Buch vom Mann aus dem Lande Uz, dem mit ausdrücklicher göttlicher Sanktionierung alles genommen wird, um seine Gottesfurcht unter Extrembedingungen zu testen? Das 20. und 21. Jahrhundert haben in der Auseinandersetzung mit diesem Buch neue Wege beschritten. Margarete Susman etwa sah als deutsche Jüdin, die den Krieg in der Schweiz überlebt hatte, in ihrem 1946 erschienenen Werk „Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes“ ein kollektives Schicksal darin beschrieben und versuchte die Unerklärlichkeit des Holocaust, unter dessen unmittelbarem Schock das Buch erschien, mit dem Schicksal des Hiob in Verbindung zu bringen. Hatte schon Jahre vor dem Holocaust das Werk Kafkas, insbesondere natürlich der Prozessroman, ihr als modernes Gegenstück für das Buch Hiob gegolten, so war es nun eine grauenhafte historische Realität, die sie solchermaßen theologisch zu bewältigen suchte. Sie maß dem jüdischen Volk, ähnlich wie der Kafkaschen Romanfigur K. eine „schuldlose Schuld“ zu, die gerade aus ihrem Nichtvergehen ihr Vergehen an der Welt gemacht hatte. Gesühnt worden war so die Unfähigkeit, sich an der Welt schuldig zu machen, als Beweis geradezu für die Erwähltheit und Gottesgeliebtheit dieses Volkes. In gewisser Weise folgte Susman damit Hiobs eigener Aussage (17,6): „Er hat mich zum Gleichnis für Völker gestellt“ und schuf zugleich ein Modell, nach dem das Unfassbare zumindest zum Gegenstand eines Diskurses werden konnte und das Judentum nicht in einer Welt dastehen musste, wo ihm nebst den sechs Millionen Opfer noch sein Gott genommen worden war – auch wenn man sich fragen muss, ob das Übertragen eines biblischen Stoffes über ein literarisches Werk der Moderne bis hin in die keineswegs mehr literarischen oder gleichnishaften Gaskammern und Krematorien letztlich Bestand haben kann. Was für die Leserschaft in den ersten Jahren nach dem Krieg noch Trost spenden mochte, erschien denn auch späteren Generationen zuweilen als Skandalon. Der jüngst verstorbene Schweizer Philosoph Arnold Künzli hat in seinem Buch „Gotteskrise“, einer Auseinandersetzung mit dem Buch Hiob und modernen Bearbeitungen und Reflexionen dieses Stoffes vor zehn Jahren heftige Kritik an Susman geäußert. Es war ihm unerträglich, dass für die Opfer von Auschwitz, das für ihn zur Endstation jeglicher Rechtfertigungstheologie jedweder Ausrichtung geworden war, auch noch eine wie auch immer umschriebene wie immer auch schuldlose Schuld festgestellt werden sollte, dass es einen Heilsplan geben sollte, dem diese Verbrechen subsumiert werden konnten.

Zugleich wandte sich Künzli mit noch ganz anderer Verve gegen ein anderes Werk der Nachkriegszeit, Carl Gustav Jungs „Antwort auf Hiob“ von 1952. In diesem Alterswerk hatte der Psychoanalytiker und Pfarrerssohn Jung das biblische Buch Hiob als Dokument für „göttliche Unbewusstheit und Unreflektiertheit“ im Alten Testament gelesen.

Was sich in der Hioberzählung religionsgeschichtlich nach Jung spiegelt, ist eine Wendung des Göttlichen aus der Bindung an Israel. Gott zweifle darum an Hiob, „weil er seine eigene Tendenz zur Untreue auf einen Sündenbock projiziert“. Die vor sich selbst verheimlichte Absicht, den Ehebund mit Israel zu lockern, veranlasse Gott, „mittels des Satan den Untreuen ausfindig zu machen“, den er ausgerechnet im „Treuesten der Treuen“ finde.

In der krassen Signifikanz, die das Defizit der Beziehung zwischen Gott und dem Bundespartner Israel in der Hebräischen Bibel anhand des Hiob-Buches erhält, und im gleichzeitigen „Scheitern des Versuches, Hiob zu verderben“ kündigt sich nach Jung die Entwicklung Gottes an. Gott „will Mensch werden“ und: „Der eigentliche Grund für die Menschwerdung ist in der Auseinandersetzung mit Hiob zu suchen.“ So stehe das Paar der jungfräulichen Mutter und ihres Sohnes für eine neue Götterehe, die die Ehe zwischen Jahwe und Israel ablöst.

In der Passionsgeschichte schließlich erlebt nach Jung „Gott den sterblichen Menschen“ und unterliegt selbst der einst von ihm dem Hiob zugefügten Erfahrung. In genau diesem Momentum von Christi Passion sieht dann Jung auch die „Antwort auf Hiob“. Im menschlichen Empfinden finde Gott sich selbst. Dem allerdings laufe die ständige Verdrängung des göttlichen Archetyps durch den modernen Menschen zuwider. Als deren Exzess bezeichnet Jung die Atombombe.

Dass Jungs Ansatz letztlich der alten christlichen Delegitimationslehre gegenüber dem obsolet gewordenen Judentum das Wort redet, ist offensichtlich. Hiob stünde dann für Israel und seinen unausgereiften, theologisch in Jesus überwundenen Gottesbegriff. Der Agnostiker Künzli lässt seinen ungefilterten Zorn gegen Jung, dem er nicht zu Unrecht seine lang anhaltende Sympathie für den Nationalsozialismus vorwirft, freien Lauf, wenn er schreibt:

Aber da dieser Inkarnationsprozess Gottes offenbar bereits begonnen hat, stellt sich mit seinem Fortschreiten die Frage nach dem Bösen immer dringender. Zumal trotz dieses Fortschreitens keine entsprechende Abnahme des Bösen in der Welt festzustellen ist. Ja, sogar das Gegenteil ist der Fall. Bezeichnenderweise sucht man in Jungs „Antwort auf Hiob“ vergeblich nach dem Namen Auschwitz. Der passt in der Tat schlecht in Jungs Psycho-Theologie, ganz abgesehen davon, dass Jung 1938 in der deutschen Kristallnacht die Augen fest geschlossen hatte.

Auch wenn man Jung zugute halten kann, dass die fünfziger Jahre generell von einer Verdrängung des Holocaust geprägt waren, ist das Einsetzen des Symbols der Atombombe für das Böse der Moderne kaum anders zu lesen denn als zielgerichtetes Beschweigen eines Vorgangs, der nicht nur von den Opferzahlen, sondern auch vom Ziel des zu Erreichenden her noch weit stärker als die Atombombe im Zweiten Weltkrieg für eine jedes sachlichen Zwecks entbehrende, reine Vernichtungsstrategie, für das Böse schlechthin stand.

Jüngst, im Jahr 2005, erschien Navid Kermanis Buch „Der Schrecken Gottes“, in dem er das Buch Hiob als Modell menschlichen Rechtens mit Gott ob des irdischen Leidens liest, das etwa auch in der mittelalterlichen Dichtung des Islam beeindruckende Zeugnisse geliefert habe. Das Hadern und Rechten mit Gott, so das Fazit des muslimischen, aus dem Iran stammenden deutschen Orientalisten und Schriftstellers Kermani, ist Signum einer tief gläubigen Gottesbeziehung. Religiöse Zensur und Kritikverdrängung hingegen sind, wie er zeigen möchte, Erscheinungen eines ungesunden und letztlich glaubensfeindlichen Fundamentalismus.

Ich habe Ihnen diese Beispiele zur Einleitung vorgelegt, um deutlich zu machen, dass Hiob in besonderer Weise ein Stoff ist, der auch die Moderne und die Gegenwart umtreibt, in dem Provokationen, aber auch Weisheiten stecken, die uns heute immer noch und wieder, aber in sich verändernden Formen und aus sich verändernden Gründen ansprechen. Ich möchte deshalb hier versuchen, von einem noch einmal ganz anderen Ausgangspunkt an Hiob heranzutreten und seine Geschichte vor dem Hintergrund gestörter Kommunikationsstrukturen zu lesen, was gerade in unserer hyperkommunikativ geprägten Gesellschaft als Lesart sich aufdrängen könnte. Es geht mir also gerade nicht um eine primär theologische Deutung, um die Frage, wie Gott das Schlechte, das Hiob widerfährt, dulden und gar veranlassen kann. Hiobs Gottesbeziehung interessiert mich angesichts des sich darin abzeichnenden Wandels seiner Selbst- und Weltbeziehung, der Veränderung seiner Wertewelt und menschlichen Souveränität.

Ausgelöst worden ist diese Interpretation eigentlich erst lange nach der Festlegung des Titels dieses Vortrags, in den vergangenen Wochen, als die Medien sich angesichts der Ereignisse an den Börsen und in den von der Krise gebeutelten Banken und Industriebetrieben regelmäßig des Begriffs der Hiobsbotschaft zu bedienen begannen. Ungeachtet der Frage, wie viele Medienkonsumenten diesen Begriff heute tatsächlich noch seinem Ursprung zuordnen können, bewegte mich gerade dieser Hintergrund zu einer Relektüre vor allem des Anfangs des Hiobbuches, an dem diese Botschaften überbracht werden – und ließ mir, wie ich glaube, ein Licht zum Verständnis dieses Buches aufgehen.

Hiob, so erfahren wir, lebte im Lande Uz und war ein schlichter und gerader, gottesfürchtiger Mann, der das Böse mied. Was der Begriff „gerade“ bedeuten soll, erfahren wir in der Selbstbeschreibung Hiobs in der letzten seiner Gegenreden an die drei Freunde im 31. Kapitel des Hiobbuches: Er hat Witwen und Waisen geholfen, Nackte angekleidet, Fremden seine Gastfreundschaft erwiesen. Dies allerdings steht sprachlich in einer eher unpersönlichen Form: Nackte blieben, wie Hiob sagt, nicht unbekleidet, Hungrige bekamen zu essen. Aber hat er je selbst jemandem ein Gewand oder ein Stück Brot gereicht? Oder hat er alles senden lassen, fromm, aber distanziert? Was seine „Schlichtheit“ betrifft, so wird von ihr gleich noch die Rede sein. Dass er aber „gottesfürchtig“ war und „das Böse mied“ liest der mittelalterliche Kommentator Raschi als eher negatives Statement: Seine Gottesbeziehung sei nicht so nahe und ungestört gewesen, dass man bei ihm von einem Zaddik, einem Gerechten sprechen könnte (wie etwa bei Noah, der gerecht und schlicht genannt wird). Hiob besitzt Großvieh, Kleinvieh, Kamele und Eselinnen in grosser Zahl, dazu hat er sieben Söhne und drei Töchter, und er ist „groß über alle Söhne des Ostens“. Von seinen Söhnen vernehmen wir, dass sie Trinkgelage abhalten und jeweils die Schwestern rufen lassen, auf das sie mit ihnen essen und trinken sollen. Hiob sieht das offenbar mit gemischten Gefühlen:

„Waren aber die Tage des Gelags umgelaufen, sandte Hiob und hiess sie sich heiligen,
er stand frühmorgens auf und höhte Darhöhungen nach ihrer aller Zahl,
denn Hiob sprach: ‚Vielleicht haben meine Söhne gesündigt und Gotte in ihrem Herzen abgesegnet.’
Solchermaßen pflegte Hiob all die Tage zu tun.“ (1,5)

Das „Absegnen“ Gottes als größtes denkbares Vergehen, das Hiob sich vorstellen kann (was immer man sich darunter auch alles vorstellen soll) ist im Hebräischen mit dem Verb „lewarech“ umschrieben, also als Euphemismus für das Wort „fluchen“ wortidentisch mit dem Verb für „Segnen“ – entsprechend hat es Martin Buber mit „Absegnen“, einer Art von Verabschiedung, übersetzt.
Hiobs Praxis, das fällt hier schon auf, ist eigenartig: Seine größte Furcht ist, dass die Söhne (von den Töchtern ist hier nicht die Rede) sich an Gott vergehen, und er besitzt die Autorität (oder sendet jedenfalls Leute mit dem Auftrag aus), die Söhne sich nach den Gelagen heiligen zu lassen und bringt Opfer für etwelche Verfehlungen, die sie begangen haben könnten. Doch was für eine Erziehung, was für ein Umgang von einem Vater mit Kindern ist das, vor allem nicht als einmaliges Ereignis, sondern „all die Tage“? Lässt Hiob seine Kinder wiederholt über die Stränge schlagen (oder lässt wenigstens Situationen entstehen, die das zulassen), ohne zu intervenieren, um seine dauernde Furcht, Gott könnte „abgesegnet“ worden sein, nachträglich in noch nicht einmal selbst vorgebrachten, sondern durch Boten übermittelten Ermahnungen an die Söhne und Opfer an Gott entsprechend ihrer Zahl, also stellvertretend für sie, zu beschwichtigen? Welchen Status hat Hiobs Gottesfurcht, und wie muss sie seinen Kindern erscheinen? Ein dauerndes laisser faire mit anschließendem aufgeregtem Sühnetheater? Welche Art von Gottesfurcht ist das? Ist es die Furcht, vor Gott zu versagen oder die Furcht vor göttlicher Strafe für ein Versagen, das bewusst in Kauf genommen worden ist?

Wohlgemerkt: Der Eindruck sei vermieden, es ginge hier oder später in diesem Vortrag darum, Hiob so darzustellen, als sei am Ende das ihn ereilende Strafgericht durch sein Handeln ausgelöst, sprich: ‚selbstverschuldet’ gewesen. Wäre das so, gäbe es gar kein Buch Hiob, dessen Stachel ja darin liegt, sich mit dem Schicksal des unverdient Geschlagenen zu beschäftigen. Doch es ist sehr wichtig zu begreifen, was für ein Gott es aus Hiobs Sicht ist, der ihn preisgibt, und was es aus Hiobs Weltsicht bedeutet, preisgegeben und geschlagen zu sein.
Die nachfolgende Szene, in der Gott den Satan, den Buber „Hinderer“ nennt, den wir aber auch „Ankläger“ nennen können (bloss nicht „Teufel“) beinahe dazu drängt, Hiob zu prüfen, indem er ihm alles nimmt, was er hat. Gott, hier mit dem Tetragramm benannt, bezeichnet Hiob exakt mit den Attributen, die auch der Erzähler am Anfang benützt hat, um ihn vorzustellen, und wir können uns ob dieser geradezu aufdringlichen Wiederholung zu fragen beginnen, ob nicht sowohl der Erzähler wie auch Gott selbst hier nicht Bezeichnungen benützen, die Hiob sich selbst zuschreibt – ob nicht der Dialog zwischen Gott und dem Satan eine nachträglich von Hiob selbst auf sein Schicksal applizierte Ursprungszene darstellt, aus der allein heraus er sich seinen Untergang erklären kann und aus der er selbst gerechtfertigt hervorgeht. Das würde aus dem Blickwinkel des Theodizeeversuchs wenig ändern, denn Hiobs Leiden wäre immer noch ein unverdient erscheinendes in einer von Gott geführten Welt, aber vom Standpunkt des Selbst- und Weltverständnisses Hiobs ändert es eine ganze Menge, vor allem mit Blick auf seinen eigenen Dialog mit Gott am Ende des Buches.

Satan jedenfalls lässt sich nicht lange bitten:

„Eines Tags geschahs,
seine Söhne und seine Töchter aßen und tranken Wein im Haus ihres erstgeborenen Bruders,
da kam ein Bote zu Hiob und sprach:
‚Die Rinder waren beim Pflügen und die Eselinnen beim Weiden ihnen zur Seite,
da fielen Sabäer ein und nahmen sie weg,
und die Knaben schlugen sie mit der Schneide des Schwerts,
nur ich allein bin entronnen,
dirs zu melden.’
Noch war dieser am Reden, schon kam dieser und sprach:
‚Gottesfeuer ist vom Himmel gefallen,
hat ins Schmalvieh, in die Knaben gezündet, hat sie verzehrt, nur ich allein bin entronnen,
dirs zu melden.’
Noch war dieser am Reden, schon kam dieser und sprach:
‚Chaldäer haben drei Haufen erstellt,
streiften über die Kamele hin und nahmen sie weg,
und die Knaben schlugen sie mit der Schärfe des Schwerts,
nur ich allein bin entronnen,
dirs zu melden.’
Noch war dieser am Reden, schon kam dieser und sprach:
‚Deine Söhne und deine Töchter waren dabei, im Haus ihres erstgebornen Bruders zu essen und Wein zu trinken,
da, ein großer Wind kam von jenseits der Wüste,
rührte an die vier Ecken des Hauses,
es fiel auf die Knaben, und sie starben,
ich allein bin entronnen, dirs zu melden.’“ (1,13-19)

Die Hiobsbotschaften also. Dazu gäbe es viele Fragen, etwa wieso eingangs erzählt wird, dass die Kinder sich beim Erstgeborenen zum Gelage trafen, obwohl das am Ende im Bericht des letzten Boten gesagt wird, was es überhaupt bedeutet, dass wieder ein Gelage stattfand, oder auch, was es bedeutet, dass in dem zusammengefallenen Haus alle „Knaben“ (ein Wort für die Knechte) gestorben sind, das Schicksal der darin befindlichen Kinder Hiobs aber gar nicht explizit genannt wird. Verschiedene Erklärer meinen, mit „Knaben“ seien die Söhne gemeint, dass die Töchter deren Schicksal teilten, sei impliziert. Doch da das Wort „Knaben“ eben in jeder der vier Botschaften vorkommt, ist nicht ganz leicht zu vermitteln, weshalb es hier die Söhne Hiobs sein sollen – vielleicht ist es wieder ein Euphemismus, und es werden die toten Knechte genannt, um die Botschaft der toten Kinder zu verschlüsseln. Eine andere, bereits schon revolutionäre Erklärung wäre, dass vielleicht seine Kinder gar nicht starben, wobei dann allerdings die auf die Nachrichten Trauerbezeugungen erklärt werden müssten. Im Gegensatz zu seinem übrigen Besitz, den er verliert, der ihm später doppelt zuteil wird, hat er nachher jedenfalls gleich viele Söhne und Töchter – und heisst es im ersten Kapitel, „sie wurden ihm geboren“, so heisst es am Ende des Buches „er hatte (die Kinder)“, was nicht ausdrücklich heisst, dass es andere, neue Kinder waren. Was aber zunächst vor allem auffällt bei diesen Hiobsbotschaften: Von überall her kommen Boten und berichten von Katastrophen – aber Hiob selbst ist nirgends gewesen, wo etwas passiert ist. Natürlich kann man sagen, dass Hiob in der Verwaltungszentrale seines Unternehmens sitzt, aber die Distanz, das nur indirekte Involviertsein scheint ein Signum des Verhaltens zu sein.

Hiob zerreißt sein Kleid, schert sein Haupt, fällt zur Erde (alles Akte, die sowohl als spontane wie aber auch als formalisierte Trauer verstanden werden können) und sagt die berühmten Worte: „Nackt bin ich aus dem Leib meiner Mutter gefahren,
nackt kehre ich wieder dahin.
Gott ist es, der gab, und Gott ist es, der nahm,
Gottes Name sei gesegnet.“
Und dann heisst es noch: „Bei alledem sündigte Hiob nicht und gab Gott nichts Unziemliches bei.“ (1,20-22)

Man könnte sich nun noch fragen, weshalb überhaupt dieser letzte Satz steht. Vielleicht deshalb, weil das Wort „gesegnet“, hebräisch „meworach“ eben dasselbe ist wie das gegenteilig gebrauchte „geflucht“, das Buber wie erwähnt mit „abgesegnet“ übersetzt. Hiob, so könnten wir es verstehen, geht gerade in seiner zunächst doch ganz gottergeben anmutenden Reaktion auf den Verlust womöglich haarscharf an dem vorbei, was der Satan ihm unterstellt hatte: Gott zu fluchen, wenn Sein Segen in weltlichem Glück sich verflüchtige.

Vor Gottes Thron wird daraufhin die zweite Runde eingeläutet. Gott gibt Hiob selbst zum Frontalangriff dem Satan preis, nur töten darf er ihn nicht – doch Hiobs Tod wäre sowieso das Ende der Geschichte, für Gott wie für Satan. Nun wird Hiob von einem Geschwür getroffen, sitzt inmitten der Asche und schabt sich mit einer Scherbe. Seine Frau spricht:
„Noch hältst du an deiner Schlichtheit fest!
Segne Gott ab und stirb!“ (2,9)

Der israelische Philosoph Eliezer Schweid schreibt in seinem Aufsatz zu Hiob meiner Ansicht nach zu Recht, dass Hiobs Frau hier eine Aufforderung zum Selbstmord ausspricht, zugleich aber nicht Aggression äussert, sondern eigentlich Empathie mit einem Menschen, der ganz offensichtlich an und mit seinem Glauben gescheitert ist.
Hiob aber fertigt sie ab:
„Er sprach zu ihr:
‚gleich dem Reden einer der Nichtigen redest du.
Auch das Gute empfangen wir von Gott –
Und wollen das Böse nicht empfangen?’
Bei alledem sündigte Hiob nicht mit seinen Lippen.“ (2,10f.)

Wäre das Buch Hiob eine Reality Show, könnten wir sagen: Der Kandidat ist zwar bis auf die Knochen gezeichnet, er hat niemanden mehr auf der Welt, aber er hat es geschafft, wir können die Übung abbrechen. Seine Schlichtheit, von der abzukommen die Frau ihm rät, wäre damit erwiesen. Schlichtheit im Sinne eines Unterlassens von Rebellion, einer Korrektheit, die vor allem im Vermeiden jedes Konflikts mit Gott liegt. Doch offenbar geht es in diesem Buch gar nicht primär darum. Wohl können wir die Entwicklung Hiobs von einer gemäßigt autistischen Gottesbeziehung zu einer sich durch den physischen oder emotionalen Verlust aller Familienmitglieder und durch das Wegbrechen aller statussichernden Güter bedingten absoluten Einsamkeit konstatieren, doch offenbar ist selbst damit das Mass seines Leidens noch nicht voll, ist sein Weg nicht zu Ende gegangen.

Nun nämlich treten seine drei Genossen auf den Plan, die kommen, um ihn zu trösten. Vom Psychoanalytiker Berthold Rothschild habe ich kürzlich die Äußerung gelesen, dass Tröster (im Gegensatz zu fähigen Psychoanalytikern) für gewöhnlich eine von zwei Arten haben, vor ihrer selbstgestellten Aufgabe zu versagen: Entweder sie geben dem zu Tröstenden das Gefühl, mit ihm im selben Boot zu sitzen, bieten ihm aber damit keine Perspektive auf Verbesserung seiner Lage, oder sie treten mit einer Menge Empathie und Mitleid an, die dann aber, da der Trost meist keine unmittelbaren positiven Folgen erkennen lässt, relativ bald in Ablehnung umschlägt. Hiobs Freunde, die definitiv keine Psychoanalytiker sind, tun beides: Sie weinen und zerreißen ihre eigenen Kleider in Analogie zu Hiobs Trauer, als sie den vom Schicksal und seiner Krankheit Mitgenommenen erblicken und, erst nach einer Weile, überhaupt erkennen. Sie sitzen sieben Tage lang, ohne mit ihm zu sprechen, bei ihm, weil sie die Größe seines Schmerzes sehen. Ich teile in diesem Falle die Meinung Eliezer Schweids nicht, der in diesem Verhalten schon Distanz und Fremde der Freunde erblickt, ich halte es für eine Geste der Solidarität – allerdings eben einer nicht sehr wirksamen, wie Rothschild sie beschreibt.

Die eigentliche Auseinandersetzung mit den Tröstern beginnt erst im dritten Kapitel, nachdem Hiob das tagelange Schweigen gebrochen hat, als er den Tag seiner Geburt verflucht hat. Nun allerdings hebt eine Wechselrede an, in der die drei Freunde in verschiedener Art und Weise immer wieder Hiob klarzumachen versuchen, dass sein Leiden nicht von nichts kommen könnte, dass Gott irgendwelche offenen Rechnungen mit ihm hat, dass es seiner Rückkehr zu Gott bedürfe.

Wir als Leser wissen, dass es nicht so ist – oder, falls Gottes Dialoge mit dem Satan innere Inszenierungen und Erklärungsversuche Hiobs sind, wissen, dass Hiob die Angelegenheit unmöglich so verstehen kann. Entsprechend wird der Ton in den Gesprächen zwischen den Freunden und Hiob zunehmend gereizter, statt miteinander zu sprechen wirft man sich Monologe und zum Teil auch Beschimpfungen an den Kopf, und der Leser nimmt immer stärker für den geplagten Hiob Partei, dessen eigentliche Sorgen fast schon verschwimmen angesichts der Impertinenz, mit der er sich auseinanderzusetzen hat, während die Freunde immer klarer zur Überzeugung kommen, dieser durch sein Schicksal vor Gott doch offensichtlich schon disqualifizierte Mann rede sich immer stärker ins Unglück hinein.

Auf deprimierendste Weise erleben wir hier, wie Theologie getrieben wird – Theologie als ein Sprechen von Gott statt eines Sprechens mit Gott. Und irgendwann blicken wir vom Buch auf und denken uns: Ist es das, was Gott ausmacht? Hängt Gott an seiner jedermann nachvollziehbaren Manifestation von Lohn und Strafe? Da nun Hiob den Test ja eigentlich bestanden hat, bedarf er dieser Lehrreden noch, die auf verhängnisvolle Weise den Gesunden, Wohlhabenden zum Rechtschaffenen umdichten? Gott wird später die drei Tröster zurechtweisen, sie müssen Opfer bringen, um seinem Strafgericht zu entgehen, werden von Gott selbst an ihr Wertesystem, aber auch dessen Missbrauch, erinnert. Zugleich aber fragen wir uns: War das bisher Hiobs Gottesfurcht? In einem Kokon des Habens zu leben, besitzend, aber fern seinem Besitz, kinderreich, aber seinen Kindern entfremdet, wohltätig, aber immer mit dem Seitenblick auf ein damit erkauftes Wohlgefallen vor Gott? Provoziert der immer von Gott sprechende, auf Gottes Wohltaten fixierte Hiob nicht auch den von Hiob sprechenden, auf dessen Wohlverhalten fixierten Gott? Liegt, in solcher Weltwahrnehmung, nicht jeder von beiden auf der Lauer und wartet auf den ersten Fehler des anderen?

Die Gegenposition zu Hiobs Hadern mit Gott ist nicht das tumbe Verweisen auf Gottes unerforschlichen Ratschluss, sondern der Blick auf eine Welt, in der das, was einem Menschen seitens Gott zukommt, in anderen Kategorien verhandelt wird. Sie erlauben den vielleicht weit hergeholt anmutenden Verweis, aber haben wir nicht in der Diskussion um die Boni von Managern genau die Frage vor uns, was eine adäquate Entlöhnung für Leistungen ist? Und wird, jenseits der eher unreflektierten Wut auf Zuvielverdiener, nicht über Anreizsysteme nachgedacht, die jenseits einer kurzfristigen materiellen Vergütung andere, allenfalls immaterielle Werte für gute Arbeit anbietet?

Ich weiss, Arnold Künzli, lebte er noch und säße er hier, würde erbost zurückrufen: Und was, bitte sehr, ist das Anreizsystem von Auschwitz? Welche immaterielle Vergütung kommt den dort Gefolterten und Vergasten zu? Welche wunderbare Gottesbeziehung haben Sie diesen Menschen zu bieten?

Ich kann auf diese Frage, vor der man erschauert, nur antworten, dass Auschwitz kein „Anreizsystem“ ist, ebenso wenig wie Hiobs Verlust von Kindern, Hab und Gut und seine Krätze ein Anreizsystem ist. Hiobs wahre Tragödie ist nämlich, das ist schließlich der wesentliche Erkenntnisertrag der zunächst so fruchtlos erscheinenden Gespräche mit den Genossen, nicht so sehr der physische Zusammenbruch, sondern der Zusammenbruch des Gottesbildes, und zwar nicht des neuen, sondern des bisherigen. Angesichts seiner ihm immer fremder werdenden Freunde erkennt Hiob, dass seine jetzige Einsamkeit nur ein Abklatsch jener monumentalen Einsamkeit war, die ihn schon immer umgeben hat, eine Einsamkeit, die im Rückblick noch größer wird, indem sich die vermeintliche Gemeinsamkeit mit den Menschen und mit Gott als Illusion erweist. Das Buch Hiob nämlich ist weder ein Heilmittel noch ein Palliativ für Menschen, die leiden, es ist nur der Anstoß, aus der Krise heraus eine neue Gottesbeziehung zu wagen.

Der im Buch diesen Anstoß gibt, ist Elihu, eine Figur, die, offenbar mit Zustimmung des Autors und auch Gottes nach den vier Freunden spricht, über die wir uns zunächst ärgern, weil wir sie als arrogant und anmaßend in einer Form wahrnehmen, die den schlechten Stil der drei Genossen noch bei weitem zu übertreffen scheint, die aber tatsächlich den Finger in einer solchen Penetranz auf den wunden Punkt legt, dass sie den Umschwung der Handlung überhaupt erst ermöglicht.

Elihu bezieht sich in seiner Kritik nicht auf mögliche frühere Vergehen von Hiob, wie es die drei Genossen tun, sondern er bezieht sich auf Hiobs Rechten mit Gott. Hiob, so lässt sich Elihus Rede in nuce zusammenfassen, steht sich selbst im Wege. Zentral ist dabei seine Aussage (36,15f.):
„(Gott) setzt den Elenden durch sein Elend frei
durch die Qual macht er das Ohr ihnen frei.
So wollte auch dich er dem Rachen der Bedrängnis entlocken.
(...)
Bist du aber vom Urteilen des Schuldigen erfüllt,
greifen Urteil und Gerechtigkeit zu.“

Ist das blanker Zynismus? Oder sagt nicht gerade der letzte Satz das aus, was eigentlich eingetroffen ist? Hiob hat seine Kinder zu keinem besonders moralischen Lebensstil angehalten, was er fürchtete, war lediglich das Strafgericht, wenn sie Gott „abgesegnet“ hätten. Deshalb dann nachträgliche Reinigunspflicht der Söhne und Opferdienst des Vaters nach den grossen Trinkgelagen. Zwischen Segen und Fluch liegt nicht einmal der Hauch einer Silbe, sie sind im Wort identisch, und nur die Angst vor dem Absegnen, nicht die Überzeugung, lässt das Fluchen als Segnen daherkommen, haarscharf an der Unfrömmigkeit vorbei. Eine Wohlanständigkeit im Schatten eines imaginierten göttlichen Strafterrors und eine Irritation über den Terror, der sich so gar nicht als Strafe interpretieren lässt und es auch nicht ist. Die Strafe, die selbstauferlegte Strafe, lag gerade im scheinbar unbeschadeten Leben vor der Attacke Satans. Es ist Zeit, hohe Zeit, sagt Elihu, die Paradigmen zu wechseln.

Erst wenn man Elihus Rede in diesem Sinne liest, lässt sich auch verstehen, was Gottes Auftritt bedeuten soll. Gott, der nun „aus dem Sturm“ zu Hiob spricht, scheint wiederum in der subjektiv von Hiob erfahrenen Form vor uns aufzutreten. Dieser Gott fragt ihn: „Wo warst du, als ich die Erde gründete, erzähle es, wenn du Erkenntnis weißt?“ (38,4) Und Gott schüttet über Hiob die ganze Macht des Erdenbegründers aus, und es entsteht der Eindruck, dass er aus dieser grundlegenden Differenz und dem daraus erfolgenden zwangsläufigen Unverständnis Hiobs für Gottes Wege erst recht deutlich machen, was Elihu schon angedeutet hat: Menschliche Klage gegen Gott sei aufgrund des begrenzten Blicks substanzlos und illegitim. Ich lasse mich auf diese Diskussion hier gar nicht erst ein, sondern möchte den Fokus auf Gottes Fragestellung richten: „Wo warst Du?“ Es ist die Frage schlechthin, die Hiob zu stellen ist, denn, um auf die Hiobsbotschaften zurückzukommen, Hiob war schon damals nirgends, als ihm alles zerbrach und vernichtet wurde, fernab sass er und brachte Opfer, um seine Art der Gottesnähe zu leben, die aber letztlich bloß Weltdistanz und Furcht war, eine dauernde Angst vor dem Absegnen Gottes und seinen Folgen. Hiob war nirgends, er war gottesfürchtig, und er hat keine Strafe verdient. Das Schreckliche, das ihm geschieht, hat kein ‚Gutes’ in sich, aber es verändert Hiobs – und vielleicht auch unser – Wahrnehmungsvermögen hinsichtlich der eigenen Person, die ihm in Form von Satan im Weg gestanden hat. Es war ein offenes Spiel, und er hätte sich umbringen können, wie seine Frau vorschlug. Indem er es nicht getan hat, wird ihm Gottes Rede zuteil, was bedeutet: Er beginnt, nach all den fruchtlosen Gesprächen mit den Freunden über Gott, nun Gott selbst zu hören. Die Frage, die Adam nach dem Genuss der verbotenen Frucht gestellt wird – wo bist du? Sie wird nun, in die Vergangenheit gewendet, an Hiob gerichtet, und sie impliziert, dass der Prozess der Selbstfindung begonnen hat.

Nach Gottes erster Rede sagt Hiob:
„Wohl, ich bin zu gering, - was antworte ich dir!
Ich lege meine Hand auf meinen Mund.
Einmal habe ich geredet und entgegne nicht mehr,
zweimal, und nichts füge ich hinzu.“ (40,4f.)

Die Geste des Legens der Hand auf den Mund findet sich in anderen Zusammenhängen noch weitere zwei Mal im Buch Hiob. Wer die Hand auf den Mund legt, so sieht es aus, entmündigt sich selbst, er kapituliert. Ist das so?

In Tat und Wahrheit werden wir Hiob später noch einmal sprechen hören. Und zu sagen, dass man die Hand auf den Mund legt, ist auch etwas anderes als es zu tun. Hiob versiegelt oder besser: entsorgt gewissermaßen mit Worten, was er an Worten gesagt hat. Er wird Gott nicht mehr antworten, weil seine Antworten an Gott immer Antworten über Gott waren, weil er dem Göttlichen so fern war wie – letztlich – dem Irdischen. Indem Gott Hiob die Welt schildert, wie sie funktioniert, erschlägt er ihn nicht einfach mit übergreifenden Kompetenzen, sondern er macht Hiob deutlich, dass Gottesbezug Weltbezug heisst. Gewiss, Hiob war immer für alle da, aber er war nicht bei ihnen, und deshalb war sein Gottbezug ein fürchtender, einer der vom Bösen abwich, aber nirgends sich positionierte. Er machte nichts falsch, er tat nichts Böses – aber im Nichttun und im Tun als Vermeidung des Nichttuns verlor er sich selbst in einem Maß, dass er sich nur in der immer offensichtlichen Einsamkeit wieder finden konnte. Rabbi Josef B. Soloveitchik macht darauf aufmersam, dass Gott Hiobs Schicksal änderte, als er für seine Feunde betete (42,10). Erst der Beweis seiner Fähigkeit, für andere zu existieren, habe ihn aus dem Elend geführt.

Muss man sich Hiob als glücklichen Menschen vorstellen, um Camus zu variieren? Eine eudämonistische Lektüre, die in der Glückssuche das zentrale Anliegen zwischen Mensch und Gott sieht, verbietet sich meines Erachtens. Man darf aber sich Hiob am Ende als souveränen, als bei sich selbst angekommenen Menschen vorstellen. Die Frage nach dem Preis, den er dafür hat zahlen müssen, wird hinfällig, wenn wir, wie vorher angedeutet, die Gespräche zwischen Gott und Satan als innere Rekapitulationen des inzwischen weiter entwickelten, die Vergangenheit überdenkenden Hiob verstehen, der Gott und Satan im Rückblick seine eigenen Defizite aufdecken sieht. Hiob hat erlebt, was er erlebt hat, das Buch ist die von einem Dritten aufgeschriebene Einordnung dieses Traumas und seiner Folgen.

Hiob, nach einer weiteren Rede Gottes, ruft diesem am Ende zu:
„Aufs Hörensagen des Ohrs habe ich dich gehört,
jetzt aber hat dich mein Auge gesehn.
Drum verwerfe ich und es gereut mich
hier in dem Staub und der Asche.“ (42,5f.)

Martin Buber hat zu diesem Satz geschrieben:
Zwischen Recht und Unrecht wird nicht entschieden; sie werden aufgehoben durch das „Sehen“. Das Leid bleibt vorerst ungemindert, Ijob sitzt immer noch „hier in dem Staub und der Asche“, und doch hat sich alles verwandelt, denn der Gegensatz von Lohn und Strafe ist durch das Mysterium der Nähe abgelöst worden.

Wenn wir Hiob als ‚Entwicklungsroman’ lesen, dann liegt tatsächlich im „Sehen“ der Gipfel des Erreichten. Wir müssen Hiob von der Person und nicht von Gott her lesen. Gott zu erklären, anzuklagen zu verteidigen, wir werden es ewig tun können, ohne viel weiter zu kommen. Dem Menschen Hiob zu folgen, seine Souveränität des Blicks zu erhalten, das kann uns eher möglich sein. Eine Lektüre vom Menschen her versucht das Unglück nicht erträglicher zu machen, doch es macht die daraus resultierenden Schritte der Selbstsuche wirksamer, überwältigender und richtungsweisender für uns alle.

Martin Buber sieht, wie auch Eliezer Schweid, Hiobs am Ende wieder hergestellten, ja vermehrten Wohlstand, die neu geborenen (oder wiederaufgetauchten?) Kinder, nicht als die eigentliche Besonderheit der Entwicklung an. Ich meine, damit haben sie recht. Interessant ist allenfalls, dass von drei der Kinder, bemerkenswerterweise gerade von den Töchtern, die Namen stehen. Hiob beginnt in Beziehungen einzutreten, die Welt wird ihm nie mehr dieselbe sein, auch Gott nicht.

Hiob, auf den Gott Satan ansetzte, Hiob, der Botschaften vernahm und erst zornig wurde, als er erkannte, dass Tröster nicht trösten können, Hiob, der immer schwieg, bis er sprechend zu erkennen begann, wie einsam er immer schon gewesen war – er wird uns ein Geheimnis bleiben. Sehend zu werden statt glücklich, Gott zu begegnen statt ihn blind zu fürchten, es ist die Belohnung, die Hiob nie wollte, weil der Preis zu hoch war, und die er am Ende dennoch als souverän gewordener Mensch entgegennimmt.