Erste Begegnung Bischöfe und Rabbinerkonferenzen

09. März 2006

Grußwort von Bischof Kardinal Lehmann, Deutsche Bischofskonferenz, zur ersten Begegnung "Kirchen und Rabbinerkonferenzen" am 09.03.2006 in Berlin


Zu diesem wirklich historischen Treffen darf ich Sie als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz herzlich begrüßen:

Im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit findet die heutige Begegnung statt zwischen der neu konstituierten Rabbinerkonferenz in Deutschland und dem Präsidenten der Päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, Kardinal Kasper, den ich herzlich begrüße. Seit ihrer Einrichtung im Jahre 1974 ist die Kommission eng verbunden mit dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen. Kardinal Kasper und Landesrabbiner em. Dr. Henry G. Brandt werden anschließend die beiden Festvorträge halten. Dr. Brandt, Präsident der Rabbinerkonferenz, ist zugleich jüdischer Vorsitzender im Vorstand des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Diese veranstaltet seit mehr als 50 Jahren alljährlich die Woche der Brüderlichkeit. Der Deutsche Koordinierungsrat richtet zugleich, gewissermaßen subsidiär, unsere heutige Veranstaltung aus. Ich danke dem Deutschen Koordinierungsrat dafür und in diesem Zusammenhang ganz besonders auch dessen Vorstandsmitglied Herrn Prof. Dr. Hubert Frankemölle, der sich um das Zustandekommen der heutigen Begegnung sehr verdient gemacht hat. Prof. Frankemölle ist Neutestamentler und seit vielen Jahren im christlich-jüdischen Dialog engagiert. Herzlich danken möchte ich darüber hinaus allen, die diese Veranstaltung vorbereitet haben. Danken möchte ich ganz besonders auch Ihnen, Herr Apostolischer Nuntius, dass Sie uns die Ehre Ihrer Anwesenheit geben.

Erst vor wenigen Wochen haben wir in besonderer Weise den 40. Jahresstag der Veröffentlichung der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“ am 28. Oktober 1965 gefeiert. Diese Erklärung, näherhin deren Kap. 4, ist die wohl bedeutendste kirchliche Verlautbarung über die christliche Haltung zu den Juden und zum Judentum, bedenkt man Zeitpunkt, Wirkungsgeschichte und nicht zuletzt Verbindlichkeit als Erklärung eines Konzils. Sie stellt einen wirklichen Wendepunkt dar im Verhältnis von Judentum und katholischer Kirche. Was seitdem an bedeutsamen Texten veröffentlicht wurde und an zum Teil bewegenden Begegnungen geschah, verdankt sich weitgehend diesem kurzen, aber wirkmächtigen Text. Ich denke hier nur an den Besuch von Papst Johannes Paul II. in der Synagoge von Rom, seine Israel-Reise im Jahre 2000 und den Besuch des Gedächtniszentrums Yad Vashem und der Klagemauer in Jerusalem oder an den Besuch Papst Benedikt XVI. in der Synagoge in Köln im August vergangenen Jahres. Dieser Besuch steht zugleich in der Kontinuität des ersten Deutschlandbesuchs von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1980, bei dem in Mainz zusammen mit dem Zentralrat der Juden auch eine Begegnung mit der Rabbinerkonferenz stattfand.

Mit der Erklärung des Konzils und mit dem, was daraus folgte, stehen wir vor dem tief greifenden Wendepunkt in einer 2000-jährigen oft leidvollen Geschichte christlicher Israelvergessenheit, nicht selten Judenkritik oder gar Judenfeindschaft. An die Stelle eines Blicks gewissermaßen von oben auf die Juden durch Theologie und Kirche, aus der unangefochtenen Position der Überlegenheit oder der Unterordnung, trat ein Wechsel der Perspektive, auf die Wurzel, in die die Christen „eingepfropft“ sind und die sie trägt: „Nicht Du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt Dich“ (Röm 11,18). Zu diesem Bild vom Ölbaum (Röm 11,17-24) kamen andere vergessene oder in ihrer Aussagekraft nicht mehr recht wahrgenommene Worte (vgl. Joh 4,22; Eph 2, 14-16), erhielten eine neue Leuchtkraft und wurden zu Leitbegriffen auch der auf „Nostra Aetate“ folgenden Texte. Hinzu kam der entschlossene Versuch, all die unseligen Schlagworte aus der Welt zu schaffen, die das Verhältnis Christen-Juden so nachhaltig vergiftet haben und von denen das des „Gottesmordes“ sicherlich viel Unheil angerichtet hat.

Man kann den Konzilstext nur angemessen würdigen, wenn man die durch ihn ausgelöste Wirkungsgeschichte mit bedenkt. Für die katholische Kirche in Deutschland sind hier nicht zuletzt die Texte und Erklärungen der Deutschen Bischofskonferenz zu sehen. Sie haben auch oft vermisste Aspekte nachgetragen, wie etwa die Frage nach dem Schuldanteil der Katholischen Kirche. In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem zwei Einrichtungen dankend erwähnen: die seit vielen Jahren bestehende Arbeitsgruppe der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz zu Fragen des Judentums, deren langjährigen Vorsitzenden, Weihbischof Karl Reger, ich hier herzlich begrüße. Ferner möchte ich besonders nennen den Gesprächskreis Juden-Christen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, dessen Vorsitzender Prof. Dr. Hanspeter Heinz auch unter uns anwesend ist. Die besondere Bedeutung dieses Gesprächskreises liegt darin, dass in ihm Christen und Juden gleichberechtigt miteinander wirken und gemeinsam dessen Stellungnahmen verantworten. Zwischen beiden Gremien gab und gibt es zahlreiche personelle Überschneidungen, was dem wechselseitigen Austausch zu Gute kommt.

Uns allen steht noch der denkwürdige Besuch Papst Benedikt XVI. in der Synagoge von Köln vor Augen und die ihm durch Herrn Rabbiner Netanel Teitelbaum entgegengestreckte Hand des jüdischen Volkes. Zwei wichtige Zukunftsaufgaben hat uns der Papst hinterlassen. Zum einen hat er zur Fortführung eines „aufrichtigen und vertrauensvollen Dialogs“ ermutigt. Darin könne es nicht darum gehen, Unterschiede zu übergehen oder zu verharmlosen, vielmehr: „Auch und gerade in dem, was uns aufgrund unserer tiefsten Glaubensüberzeugung unterscheidet, müssen wir uns gegenseitig respektieren und lieben“. – Respektieren und lieben! Und ich füge hinzu: der Respekt und die Liebe, die man einem älteren Bruder schuldet, um noch einmal dieses schöne Wort von Papst Johannes Paul II. aufzugreifen.

Die zweite Zukunftsaufgabe besteht in dem gemeinsamen Zeugnis und der Zusammenarbeit „in der Verteidigung und Förderung der Menschenrechte und der Heiligkeit des Lebens, für die Werte der Familie, für soziale Gerechtigkeit und für Frieden in der Welt“. Papst Benedikt nannte dabei den Dekalog als „gemeinsames Erbe und gemeinsame Verpflichtung“. In die gleiche Richtung gemeinsamer Anstrengungen „auf sozialem, ethischen und politischem Feld“ wies auch die von mir zum Jubiläum von „Nostra Aetate“ im Oktober vergangenen Jahres vorgestellte Erklärung. Sie schloss mit den Worten: „Von der Wahrheit des einen Gottes Zeugnis zu geben, ist die gegenwärtig wohl wichtigste Aufgabe von Christen und Juden.“ Mein herzlicher Wunsch ist, dass das heutige Treffen in dieser Richtung ein Impuls sein möge: für unsere Gegenwart und für ein vertieftes Zusammenwirken in der Zukunft.

(Es gilt das gesprochene Wort)